Moonsurfer
darüber. Auf dem nächsten noch stehenden Brückenträger führt er einen unfreiwilligen Schlangentanz auf, um nicht im Sumpf darunter zu landen. Dann zieht er das Board nach und tänzelt erneut darüber, immer in der Erwartung, dass das alte Brett nicht viel mehr Gewicht verträgt als die verrotteten Planken der Brücke.
Aber es hält.
Auf der anderen Seite angekommen, klemmt er sich das Board unter den Arm und duckt sich zwischen dem letzten Grün des Dschungelgrundstücks hindurch, wo er endlich den rettenden Strand erreicht, der ihn von den Mücken erlöst und mit einer ordentlichen Südwest-Brise empfängt.
Am Strand, Sonnenuntergang
Die Flaute ist vorüber und das Meer wirft kräftige Brecher auf. Etwas weiter südlich kann Steven eine Gruppe Surfer im Wasser ausmachen, die auf ihren Brettern lauern, die Blicke nach hinten gerichtet, um die passende Welle zu erwischen.
In der Brandung spiegelt sich das allabendliche Sonnenuntergangs-Inferno. Die rot glühenden Farben des Himmels fließen wie Sand in einer Sanduhr hin zur orange leuchtenden Scheibe und ergießen sich dort, wodie Sonne das Meer berührt, in die Weite des Golfes von Mexiko.
Wenig später ist das Schauspiel vorbei, aber noch stehen in Stevens Rücken grellgelbe Quellwolken vor dem satten Dunkelblau des Abendhimmels. Getrieben von einer Mischung aus Unruhe und Neugier durchwatet er die Weißwasserzone und schiebt das alte Brett hinaus durch die Brandung.
So viel ist festzustellen, denkt er, es schwimmt.
Er legt sich flach auf das, was das Gespenst »Longboard« genannt hatte, und beginnt zu paddeln, um sich durch die brechenden Wellen zu schaufeln und den Kanal zu finden, der ihn mit der zurücklaufenden Brandung nach draußen zieht.
Doch dieses Manöver ist gar nicht notwendig. Das Board scheint von ganz allein seinen Weg zu suchen und wie nach jahrhundertelanger Gefangenschaft gierig hinaus in die Freiheit zu ziehen. Selbst dann, wenn Steven eine Verschnaufpause einlegt, schiebt es noch kräftig vorwärts, als hätte es so etwas wie einen eigenen Willen. Er muss nicht viel mehr tun, als sich festzuhalten.
Die eigenwillige Planke findet ihren Weg durch die Brecher und erreicht zielstrebig die Line-up Zone hinter der Gischt, wo es ruhiger ist. Ab hier baut sich die vor ihnen liegende Dünung in ruhigem Rythmus auf. Steven macht den Versuch, sich das Kommando zurückzuholen und paddelt drauflos. In diesem Moment vollführt das Board ein Wendemanöver.
Danach zeigt die Nase des Surfboardes auf das Panorama der Insel, die noch immer leuchtet, als wäre siefluoreszierend, aufgeladen von der längst erloschenen Abendsonne. Von hier draußen aus gesehen erinnert Sharkfin-Island an ein flaches, langes Floß, beladen mit einem Wald von Pinien, Palmen und Banyons, unterbrochen von flachen Bungalows oder den bunten Holzhäusern auf ihren Stelzen. Darüber steht der Mond, der noch vor wenigen Nächten rund und voll war.
Steven weiß, dass man die richtige Welle erwischen muss. Er hockt sich rittlings auf das Board und blickt über seine Schulter zurück, hinaus auf das Meer, um die Dünung zu beobachten und um in dem Moment anzupaddeln, den er für den besten hält. Er lässt die Wellen unter sich hindurchwandern und wartet. Minuten vergehen.
Doch abermals ist es die alte Planke, die die Entscheidung trifft.
Als sich eine vielversprechende Wellenwand hinter ihnen aufbaut, hat Steven gerade noch genug Zeit, sich flach auf das Brett zu legen, denn das Board nimmt im Alleingang Geschwindigkeit auf. Steven beginnt aus Leibeskräften zu paddeln, um wenigstens diesen Teil zum Manöver beizutragen. Er spürt, wie er zum Kamm der Welle nach oben gezogen wird.
Unsicher hin und her kippelnd schafft er es in die Hocke und richtet sich vorsichtig auf. Doch plötzlich fühlt er sich so sicher, als habe er das Surfen gelernt, bevor »Klein-Stevie« seine ersten Schritte über einen Strand watscheln konnte.
Die Planke, die das Gerippe in der Hazienda auch »Moonsurfer« genannt hatte, beginnt zu tanzen. Das Board schießt in einem weiten Bogen durch das Wellental, steigt zurück zum Kamm und vollführt dort eine Drehung, einen Cut-Back, zurück ins Wellental. Steven steht auf dem Brett, als wären seine Füße mit Sekundenkleber fixiert worden. So wie einer dieser kleinen Spielzeugindianer aus Plastik auf ihrem Sockel.
Ein Board und sein Surfer sollten natürlich eine untrennbare Einheit bilden, aber eine mit einem gemeinsamen Schwerpunkt: ein Team, ein
Weitere Kostenlose Bücher