Moonsurfer
Dickicht so dicht, dass er nur noch in geduckter Haltung vorwärtskommt. Hier ist es schattig, kühler ist es deshalb nicht. Die Sonne hatte den ganzen Tag lang vom wolkenlosen Himmel heruntergebrannt und das Land aufgekocht. Die Hitze liegt schwer und feucht über den Inseln.
Steven tropft der Schweiß vom Kinn. Äste, Farne und Palmblätter scheuern am Sonnenbrand auf seinen Armen. Nach einer Weile stößt er auf einen stinkenden Tümpel, über den eine schmale, baufällige Holzbrücke führt.
Er sieht sich nach einer Möglichkeit um, die morsche Brücke zu umgehen, doch die grüne Pfütze verliert sich zu beiden Seiten in unzähligen Mangroven-Beinen. Red Mangroves, stellt Steven fest, aber er muss sich beeilen, denn jetzt haben ihn die Moskitos entdeckt.
Die Brücke knarzt unter seinen Schritten wie die Planken eines verrottenden Schiffes, die Reste eines verfaulten Geländers hängen in den Sumpf. Steven erwischt eine Querlatte, die sofort nachgibt. Zurück!, schießt es ihm durch den Kopf, aber er hat sich bereits zu weit auf das Holzgerippe vorgewagt.
Also entschließt er sich zur Flucht nach vorne, in letzter Sekunde, denn das Brett unter seinen Füßen beginnt zu splittern. Steven springt und landet auf einer Latte, die genauso wie die vorherige sofort nachgibt.
Der Steg ist keine Brücke, er ist eine Falle, die senkrecht nach unten in den grünen Brackwassertümpel führt. Steven rudert mit den Armen, balanciert, hüpft und hetzt vorwärts, während hinter ihm die morschen Holzstücke durch die Luft wirbeln. Mit einem letzten Hechtsprung landet er bäuchlings auf festem Boden hinter dem Tümpel.
Er stemmt sich auf die schmerzenden Unterarme, spuckt Muschelsand und reibt sich Körner aus den Augen. Etwa zwei Mannslängen vor ihm liegen steinerne Stufen, verborgen unter Farnen, verrotteten Kokosnüssen und vertrockneten Palmwedeln.
Veranda
Kurz darauf steht Steven auf den Resten einer Veranda, die wie ein verlassener Dschungel-Tempel von der Natur zurückerobert wurde. Beinahe sieht es so aus, als sei das gesamte Bauwerk von unten her aus der Erde in den Urwald gewachsen und habe dabei die grüne Deckeeinfach mit angehoben. Der Himmel über der Ruine lugt nur hie und da blau durch die Äste australischer Pinien, auf denen sich plappernd ein Schwarm giftgrüner Papageien niedergelassen hat. Schlingpflanzen und das Spanish-Moss hängen herab … wie die weißen Haare des alten Grumble.
Steven hat die Rückseite der Hazienda gefunden.
Vor ihm eine schwere alte Holztür, die schief in den Angeln hängt und eine Handbreit offen steht.
Jetzt, kurz vor seinem Ziel, packt Steven wieder die Angst. Dieselbe Angst, die er verspürt hatte, als er vor dem gespenstischen Greis kauerte.
Er zögert, doch dann hat er wieder Bruce vor Augen, der grinsend einen gewissen Surfanfänger namens Cheese aus dem Wasser und auf den Strand schleift, während sich das Publikum kaputtlacht. Also legt Steven vorsichtig seine Hand auf die Holztür und drückt sie auf. Gerade so weit, dass er seinen Kopf hindurchstecken kann.
»Hallo … Mister … sind Sie da?«
Angestrengt horcht Steven in das Dunkel hinein. Nichts. Nur die Papageien über ihm krächzen aus den Baumkronen.
Verwesungsgeruch.
»I … ich bin’s! Der von neulich Nacht. Sie haben mich Seven Waves genannt!«
Wieder nichts.
Steven drückt die Tür langsam ein Stück weiter auf und wagt einen Blick nach drinnen.
Seine Augen müssen sich an das Dunkel gewöhnen, seine Nase an den Gestank. Er macht einen weiteren Versuch:»Sir, ich …« Er räuspert sich. »Ähem, i…ich hätte noch eine Frage wegen dem … Surfboard!«
Steven horcht in die Dunkelheit.
Verdammt, wenn doch mal die blöden Papageien ihre Schnäbel halten könnten!
In diesem Moment verstummen die Vögel.
Jetzt umgibt totale Stille den Dschungel und das Haus. Steven wird es kalt. Gänsehautkalt.
Dann, plötzlich, erwachen die Kronen der Pinien über ihm wieder zum Leben, die Papageien stieben auf und flattern in den Himmel. Ein Rauschen zieht durch das Dschungelgrundstück.
Der Wind ist zurück!
Steven nimmt all seinen Mut zusammen. Er schlüpft durch die Tür und in die Dunkelheit. Im Dämmerlicht erkennt er die Rücklehne des riesigen Sessels, auf dem der Greis in der Sturmnacht gesessen hatte. Auf der Armlehne sieht er schemenhaft die knochige Hand des Alten. Steven nähert sich vorsichtig über die quietschenden Holzbohlen, während der Leichengeruch abermals Übelkeit in ihm
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