Moonsurfer
schlagartig und wie vom Teufel besessen losschiebt. Sie werden zumWellenkamm hochgesogen. Steven hat verstanden, richtet sich auf, springt auf die Beine. Wie ein Geschoss nimmt das Board Geschwindigkeit auf und schießt in den Hang aus dunkelgrünem Wasser.
Die Zuschauer starren mit offenen Mündern auf das Meer hinaus: Dieser Cheese vollführt jetzt auf dem scheinbar schwerfälligen und alten Longboard eine schnelle Kette von Bottom-Turns und Cut-Backs, so viele, dass die Punkte-Richter Schwierigkeiten haben mitzuzählen.
Danach lässt der Fremdling seine Welle auslaufen, steht entspannt auf dem Brett und gleitet durch die Brandung über der Sandbank zurück auf den Strand, den er beinahe gleichzeitig mit seinem Konkurrenten Bruce erreicht. Währenddessen heben die Schiedsrichter einer nach dem anderen staunend ihre Tafeln.
Punkte-Gleichstand.
Das bedeutet, dass Bruce und Steven später noch einmal rausgehen müssen. Aber Steven kann sich jetzt schon ein »Cheese« wie bei einem Fototermin nicht verkneifen. Selbst das Gelächter des Publikums ist verstummt und hat sich in ein tonloses Gaffen auf den käsigen Neuling und sein vorsintflutliches Brett verwandelt.
Der Nachmittag geht zu Ende und die untergehende Sonne malt bereits ihr gelb-rot-violettes Flammenmeer in die abendlichen Quellwolken, als es dann endlich so weit ist: Der Veranstalter schickt die Nummern Sieben und Sechsundzwanzig ein zweites Mal ins Wasser.
In der Light-Show des Sonnenunterganges wird Bruce die ganze Aufmerksamkeit des Publikums für sich haben - wenn er Steven, wie er angekündigt hatte, erledigen wird. In der Zwischenzeit hat der Süd-Westwind zugenommenund treibt noch mächtigere Brecher als zuvor über die Sandbank vor der Insel.
Etwas weiter nordwestlich kann Steven die X-Plorer II erkennen, die bereits ihre nächtlichen Positionslichter eingeschaltet hat. Dahinter leuchten die letzten Strahlen der Sonne fächerförmig ins All wie die Scheinwerfer eines Rockkonzertes. Gleichzeitig steht der Mond bereits rund und voll am Himmel …
Bruce ist nach dem Startaufruf sofort raus, während Steven noch eine Weile die Wellen betrachtet, bevor er Moonsurfer ins Wasser schiebt.
Nachdem er dann die Sandbank hinter sich gelassen hat, wartet er auf das Zeichen - das Vibrieren seines Boards. Der Wind zerrt an Stevens nassen Haaren, seine Shorts schlagen knatternd auf seine Oberschenkel. Er sammelt sich, will keinen Fehler machen, denn jetzt geht es endgültig darum, Bruce die Krone vom Kopf zu schlagen.
Der Surfkönig vom vergangenen Jahr ist längst auf sein Shortboard gesprungen, um seine Show vorzuführen. Er hat eine perfekte Welle erwischt und seine Silhouette zeichnet sich im Gegenlicht ab, das durch die beinahe gläsern wirkende Wand einer Tube smaragdgrün leuchtet. Die Menge am Strand johlt auf.
Als es dann geschieht, steht der Vollmond bereits hoch über Sharkfin-Island am Himmel. Die Sonne berührt den Horizont, taucht ein, glüht ein letztes Mal auf und versinkt.
Steven beginnt einer inneren Stimme folgend die Wogen zu zählen, die unter ihm durchrollen:
Eins … zwei …
Sein Board erzittert und Steven wendet.
… fünf … sechs …
Die Siebte Welle baut sich auf.
Take-off.
Steven stemmt den Oberkörper hoch und zieht seine Beine mit einer einzigen schnellen Bewegung in die Hocke. Für einen kurzen Moment befinden er und das Brett sich im freien Fall, dann schießen sie eine Wasserwand hinunter, die sich mit der doppelten Höhe seiner ein Meter achtzig aufgetürmt hat. Das Publikum, das vor der Küste Sharkfin-Islands noch nie ein solches Wellenmonster gesehen hat, verstummt und steht starr, unfähig, die Flucht anzutreten.
Jetzt formt sich der Brecher über ihm zu einer Tube. Ein Wassermaul, das ihn verschlingen will.
Steven versucht, der Röhre zu entkommen. Doch noch bevor er begreifen kann, was wirklich mit ihm geschieht, packen die schäumenden Kiefer des Wassermonsters zu.
Die riesige Welle fällt mit einem ohrenbetäubenden Donnern in sich zusammen.
Wipe-out.
Steven wird verschlungen und mit ihm Moonsurfer.
Zuschauer und Punkterichter starren mit offenen Kinnladen auf die schäumende Wasserfläche, während Bruce zufrieden auf den Strand gleitet.
Doch die Startnummer Sieben bleibt in den Wellen verschwunden.
An Bord der X-Plorer; unruhige See; aus der Ferne der Surfsound des Wellenreiter-Wettbewerbes, kurz vor Sonnenuntergang
Ben Waves donnert mit der Faust auf die Tischplatte in der Messe
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