Moonsurfer
seinem Kopf.
Nach und nach kehren die Geräusche von Sharkfin-Island zurück, so als würde jemand den Lautstärkeregler seiner Wahrnehmung langsam wieder aufdrehen. Doch obwohl ihm das Rauschen des Windes in den Palmkronen, obwohl ihm die Rufe der Lachmöwen, der Pelikane und Silberreiher vertraut sind, kommt ihm das Konzert der Insel seltsam fremd vor.
Es fehlt etwas.
Wo ist das Gröhlen des Publikums? Wo der Westcoast-Sound der Musikanlage? Wo sind die Durchsagen der Wettbewerbsleitung?
Er wagt es, seine Augen zu öffnen.
Sein Blick schweift über die blanke Wasseroberfläche und trifft auf den Strand, der im fahlen Licht des Mondes etwa neunzig Fuß vor ihm liegt. Der Strand ist leer, sämtliche Lichter der kleinen Stadt sind ausgeschaltet und Steven fragt sich, ob er vielleicht so lange bewusstlos war, dass man ihn hier inzwischen vergessen hat.
Hat es einen Stromausfall gegeben? Oder bin ich an eine unbewohnte Insel getrieben worden? Aber es scheint immer noch der ihm vertraute Strand zu sein, nur schmäler, viel schmäler.
Und die Hotels im Süden fehlen. Und auch die Strandbar …
Ruckartig hebt er seinen Kopf aus dem Salzwasser und sucht verzweifelt nach dem Haus unter den Kiefern,in dem er und seine Mutter seit einigen Wochen leben. Aber auch das Haus ist verschwunden. Er richtet sich auf, reißt den Kopf herum und blickt zur einen, dann zur anderen Seite. Nichts.
Er scheint vollkommen allein zu sein, jede Andeutung einer Zivilisation fehlt - ebenso wie die Silhouette der Explorer.
Den dunklen Schatten in der Ferne erkennt er nicht. Nur sehr schwach zeichnen sich die drei Masten gegen den Nachthimmel ab. Steven versucht, ruhig zu bleiben und nachzudenken.
Als er dann endlich beschließt, ans Ufer zu paddeln, ist er nicht mehr allein.
Er hat Besuch bekommen, der erst ganz klein und spitz im Mondlicht auftaucht, die Wasseroberfläche von unten her aufschneidet und zu einem stattlichen schwarzen Dreieck heranwächst, das etwa drei Mannslängen vor dem Surfboard vorüberzieht, um dann nach weiteren fünf Mannslängen zu wenden und auf ihn zuzuhalten.
Es ist die Rückenflosse eines gewaltigen Haies.
Juni 2004; Ben Waves im Wasser, kurz nach Sonnenuntergang
Augenblicklich ist es so dunkel geworden, dass der Taucher kaum mehr zu erkennen vermag, was unter ihm liegt. Waves vergisst den Surfer, der gerade eben noch da war und plötzlich wie von Geisterhand verschwunden ist. Er wendet sich wieder den Klumpen am Meeresgrund zu, die er angepeilt hatte und greift nach den nächstenbeiden Trümmern, die er ohne weitere Hilfsmittel gerade noch transportieren kann. Dann kehrt er um.
Zurück an Bord erwartet ihn eine Dusche aus Beschimpfungen.
Susan Waves kocht vor Wut. Dieser idiotische Schatzjäger hat tatsächlich etwas entfernt! Entgegen ihren Anweisungen und bevor es sorgsam in eine Zeichnung der Ausgrabungsstätte eingetragen werden konnte! Für die Archäologin ist dies unverzichtbar, will sie später einmal Rückschlüsse aus der Lage von Objekten ziehen können.
Sie stampft mit den beiden unförmigen Brocken, die ihr Ex mitgebracht hat, in das Labor an Bord der X-Plorer, verbietet jederart Störung, selbst wenn das Schiff sinken sollte, schlägt wütend die Tür hinter sich zu und verriegelt sie.
Im Labor taucht sie in ihre Welt ein. So tief, dass sie in dieser Nacht die Ereignisse um sich herum nicht mehr wahrnimmt: Den Anruf des Marine Rescue Departments, die Aufregung oben an Deck. Nicht einmal das ohrenbetäubende Knattern des Helikopters der X-Plorer dringt in ihr Bewusstsein, mit dem sich Ben Waves an der Suche eines vermissten Contest-Teilnehmers beteiligt: Startnummer Sieben, ein gewisser »Cheese«, richtiger Name unbekannt.
Ihren Sohn Steven vermutet sie sicher im Strandhaus.
Erst kurz vor Sonnenaufgang des nächsten Tages stößt Susan Waves die Tür zum Labor mit einem lauten Knall wieder auf und stürmt durch den schmalen Mittelgang des Achterdecks in die Messe.
Dort hockt Waves mit seiner Mannschaft erschöpft bei einer ersten Tasse Kaffee nach einer »verdammt langen Nacht«. Die Auseinandersetzung am Abend zuvor hat er längst vergessen. Müde hebt er seinen Kopf. Er will gerade dazu ansetzen, seiner Exfrau von der nächtlichen Suche sämtlicher verfügbarer Rettungsmannschaften des Counties nach dem vermissten Surfer »Cheese« zu berichten, aber Susan Waves interessiert das nicht.
Sie wirft sich ihm an den Hals, als habe es nie eine Meinungsverschiedenheit gegeben und als
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