Moonsurfer
das Leinen der Hängematten und Palmholz im Überfluss. Wir bauen aus dem Kanu und dem Board ein Segelboot mit Ausleger! Damit könnten wir …«
»… dem Panther-Clan in die Hände segeln?«, kontert Snake, bevor Steven zu Ende sprechen kann. »Großartig, Sir Waves, großartig! Ihr vergesst, dass die Indianer den südlichen Teil der Insel kontrollieren, zu Wasser und zu Lande. Außerdem sind sie wegen der Gefangennahme ihrer Stammesbrüder aufgebracht. Ich habe deshalb nicht den geringsten Zweifel daran, dass ein neuer Angriff auf die Blackbird bevorsteht. Damit ist unsder Weg nach Süden versperrt. Oder wollt Ihr vielleicht aufs offene Meer hinaus, um die Blackbird gar zu umrunden?«
Weshalb nicht? , will Steven erwidern. Er hat den Mund bereits zur Antwort geöffnet, doch dann lässt er seinen Kiefer wieder zuklappen. Denn in diesem Moment wird ihm bewusst, dass er sich in den letzten Minuten allein vom Wunsch, Shark zu helfen, leiten ließ, nicht aber von seinem Verstand.
Denn dieser würde nur eine einzige Antwort kennen: Steven sollte sich hier unter dem Banyon verkriechen, bis der nächste Vollmond eintritt … und damit hoffentlich auch die Tube entsteht, die ihn wieder nach Hause bringt.
Tage später, Strand von Sharkfin-Island, Morgengrauen, Südwestwind
Steven fröstelt in der frischen Morgenluft. Er zieht sich eine zerschlissene Wolldecke über die nackten Schultern, kauert im Schutz der Büsche und blickt hinaus zur Blackbird, die sich um diese Zeit nur dunkel und unscharf vor dem Nachthimmel abzeichnet. Pelikane kreisen über den Wellen, stoßen hier und da nach unten und ziehen sich ihr zappelndes Frühstück aus dem Wasser. Abertausende von Vögeln bevölkern die weitläufige, sandige Landzunge: schwarzweiße Scherenschnabler, Lachmöwen und kleine Strandläufer, die vor der Brandung hin und her tippeln. Ein Silberreiher stakst auf langen dünnen Beinen im Wasser auf und ab.
Steven wartet schon seit kurz nach Mitternacht auf den Schiffsjungen. Vergeblich hatte er versucht, Schlaf zu finden. Hinter ihm im Gebüsch liegt das kleine Auslegerboot, das die beiden in den vergangenen zwei Tagen gebaut haben, nachdem Snake eines Abends von der Blackbird zurückgekommen war und überraschend erklärt hatte, dass sie Shark in der Tat nicht im Stich lassen könnten. Darüberhinaus sei Stevens Idee, ein kleines Segelboot aus dem Kanu und der Planke zu fertigen, nicht die schlechteste.
»Wir warten den nächsten Angriff der Indianer auf die Blackbird ab«, hatte er erläutert. »Und wenn dann allesamt auf der Seeseite der Insel beschäftigt sind, können wir unbeachtet von den Streithälsen durch die Bay zwischen der Insel und dem Festland schlüpfen - ohne auch nur einen einzigen verräterischen Ruderschlag machen zu müssen!«
Danach hatten sie Kanu und Surfboard parallel zueinander ausgerichtet und miteinander verbunden, sie hatten schmale, leichte Palmstämme quer darübergelegt und alles fest miteinander vertäut.
Nun wächst ein etwa vier Mannslängen hoher Mast aus dem Einbaum empor, daran ein paar leichtere Stangen, um das Segeltuch aufspannen zu können. Am Heck des so entstandenen Seglers: Pinne und Ruderblatt, die das Boot auf Kurs halten werden. Snakes Seemannskiste ist auf das Kanu geladen worden, und auf einem Netz, das den Raum zwischen Surfboard und Kanu überspannt, sind Waffen und Vorrate vertäut.
Steven weiß, dass er nur begrenzt Zeit hat, bis er zurück sein muss, damit ihn die nächste magischeWelle nach Hause bringen kann. Bis dahin müssen sie es schaffen: nach Captiva segeln, das Mädchen und ihre Brüder befreien und gemeinsam nach Sharkfin-Island zurückkehren.
Jetzt, während er auf den Schiffsjungen wartet und unter seiner Wolldecke mal wieder aussieht wie ein Bettelmönch im Gebet, überlegt er, ob es Furcht oder nur die kühle Morgenluft ist, die seine Zähne klappern lässt.
Indianer greifen nicht während der Nacht an, hatte Snake erklärt. Doch in den Morgenstunden müsse Skull auf der Hut sein. Also hatten sie vereinbart, sich regelmäßig frühmorgens am Strand zu treffen. Gemeinsam wollten sie den Angriff auf die Blackbird abwarten, der es ihnen ermöglichen würde, unbeachtet nach Süden durchzuschlüpfen.
Doch an diesem Morgen ist Snake nicht aufgetaucht.
Plötzlich bemerkt Steven Bewegungen weiter südlich auf dem Wasser. Er springt auf und rennt in geduckter Haltung entlang der Büsche den Strand hinunter. Als er ungefähr die Stelle erreicht hat, an der
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