Moony Witcher - Nina 01 und das Geheimnis der Lagunenstadt
der Rosensaal, der mit seinen sechs riesigen Fenstern lichtdurchflutet war: Dort wurden damals die ganz großen Feste gefeiert. Außerdem gab es noch eine Menge miteinander verbundener kleiner, schlichterer Räume wie zum Beispiel das Kaminzimmer und den stillen, strengen Dogensaal (benannt nach den Dogen, die lange Zeit in Venedig geherrscht hatten), in dem Opa Mischa einen Großteil seiner Zeit mit Lesen verbracht hatte. Möbel und Kunstgegenstände, Statuen und Pflanzen aller Art standen unverändert im Raum. Und trotzdem fühlte es sich anders an. Nina ließ ihren Blick durch den Raum wandern und schaute sich alles an. Über allem schien ein Schatten zu liegen. Ihr Großvater war in diesem Haus unerwartet gestorben und das hatte die ganze Familie erschüttert.
Als Nina die letzten Stufen der Wendeltreppe genommen hatte, stand sie vor Opa Mischas Zimmertür. Sie war verschlossen. Langsam näherte sie sich, legte die Hand auf den silbernen Türknauf, drehte ihn vorsichtig, ging hinein und knipste das Licht an. Erleichtert stellte sie fest, dass alles noch immer so zu sein schien, wie sie es in Erinnerung hatte: das breite Himmelbett, die Wandteppiche, die roten Samtvorhänge und die großen Perserteppiche auf dem venezianischen Marmorboden. Es war wirklich ein prachtvolles Zimmer! Am Veilchenduft merkte sie, dass das Zimmer frisch geputzt war. Die Kommode und der Kleiderschrank waren gut verschlossen, nur am Nachttischchen stand eine Schublade halb offen. Auch wenn Nina vor Müdigkeit die Augen fast zufielen, konnte sie nicht widerstehen: Sie stöberte neugierig in der Schublade. Papiertaschentücher, ein Füllfederhalter, eine durchsichtige Glaskugel und ein schmales Heft mit schwarz-goldenem Umschlag ...
Ein Heft mit schwarz-goldenem Umschlag? Das schien interessant zu sein: Das Heft bestand aus insgesamt zehn Seiten, und diese waren vollgeschrieben mit Zahlen und eigenartigen Symbolen, manche davon waren mit einem Sternchen markiert, andere durchgestrichen und wieder andere waren unterstrichen. Es schien sich um alchimistische Formeln zu handeln. In der Mitte der letzten Seite prangte nur eine Zeile, die aus einer Reihe von kleinen seltsamen Zeichen bestand:
Nina war sehr erstaunt, sie verstand nicht, was diese Zeichen bedeuten sollten, aber sie war sich sicher, dass der Großvater einen Grund gehabt hatte, diese Geheimschrift zu benutzen.
Dann nahm sie die Glaskugel und betrachtete sie gegen das Licht: Genau in der Mitte der Kugel entdeckte sie eine kleine weiße Murmel. Es sah nach einer Murmel aus, aber vielleicht war es auch eine Perle? Ja, eine kleine Perle war es. Nina bewegte die Glaskugel mehrere Male hin und her, aber die Perle blieb in der Mitte verankert. Sie schien festzustecken. Fasziniert und gespannt nahm Nina das mysteriöse Heft und die Glaskugel an sich. Ehe sie das Zimmer verließ, fasste sie sich jedoch ein Herz, drückte gegen eine der Holztäfelungen, die sofort nachgab, und lief schnell den dahinter beginnenden kleinen Geheimgang entlang, der zur Spiegelkammer führte, dem Ort, an dem Mischa die Kleidung und den Schmuck von Oma Espasia aufbewahrte. Schon als kleines Kind hatte Nina davon geträumt, diesen Raum zu betreten, die wunderschönen Kleider aus Samt und Seide anzuprobieren und die Ketten und Ringe zu bestaunen. Doch Opa Mischa hatte es nicht erlaubt. Am Ende des Ganges musste Nina allerdings feststellen, dass die Tür zur Spiegelkammer mit einem Vorhängeschloss versehen worden war.
Seltsam, dachte sie. Warum kann man denn nicht mehr dahinein? Das musste sie wohl Sahnetorte fragen.
Enttäuscht ging sie zurück, schaltete das Licht in Opa Mischas Zimmer aus und schloss die Tür. Sie schlich in ihr Zimmer, das in der Nähe der zwei blauen Säulen lag. Auch sie hatte ein Himmelbett, mit blauem Laken, blauem Bettbezug und einem türkisfarbenen Kopfkissen. Vorhänge, Wandteppiche und Teppiche passten farblich auch dazu und dufteten nach Maiglöckchen. Ein Zimmer wie ein Stück vom Himmel. Nina legte die Glaskugel auf ihr Tischchen, zog sich aus und ließ ihre Kleider auf den Boden fallen. Sie kroch ins Bett und begann, das schwarze Heft durchzublättern. Genau in diesem Moment kam Ljuba mit der Tasse Schokolade und einem großen Stück Apfelkuchen herein. Adonis und Platon flitzten hinter ihr zur Tür hinein.
»Die Schokolade ist noch heiß, trink sie besser langsam und iss den Kuchen. Ich habe ihn extra für dich gebacken. Und dann schlaf gut. Morgen wird ein schwerer Tag und
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