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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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die Wellen würden alles, was sie ihrem Jungen sagen, auf sein Buch erwidern und darin widerlegen möchte, als dieses stumme Rauschen zurückwerfen, dem sie nichts mehr entgegenzusetzen hätte als abermals ihren schutzlosen, viel zu luftig gekleideten Leib, der sich trotzig gegen den Wind stemmt, sich vorankämpft durch den Sturm deiner Vorhaltungen und Verleumdungen, der sie nun auf die nächste Seite treibt, wo sie das Geschriebene kaum liest, nur mit Augen überfliegt, im schmerzlichen Wunsch, endlich den Abschnitt zu finden, in dem ihr Junge, ein Schriftsteller, denkt sie, der die sogenannte Wahrheit, Dinge, wie sie waren und sind, ja austricksen darf und muss, ihr, seiner Mutter, doch noch einen einzigen Satz schenkt, der es ihr erlaubt, das Unwiderrufliche rückgängig zu machen und ihre gemeinsame Vergangenheit, wenn schon nicht als seine echte, zumindest doch als diese Romanmutter anders und besser zu leben, was hieße, dass ich die ganze Geschichte entweder an dieser Stelle wegschmeißen oder den schon fortgeschrittenen Winter zurückspulen müsste, neu aufrollen nicht nur den vorangegangenen, bereits abgeschlossenen Herbst, sondern alle noch weiter zurückliegenden Jahreszeiten: das Moor erst plan und weiß, dann im Rostrot und Steppenbraun zaudernder Verwesung, später durchfleckt von den violetten und blassrosa Flämmchen der blühenden Glocken- und Rosmarinheide, bis der Frühling das Purpurfeuer der Gagelblüte vor dem Lichtgrün der soeben ausgetriebenen Birken entfacht, zwischen den Resten letzter Eiskrusten; und selbst der Schnee fällt hinauf in die schwerbäuchigen Wolken, die sich entballen, zusammenschrumpfen und schließlich, nachdem das Wasser der wochenlangen Herbstregenfälle aus den überfluteten Gräben wieder gen Himmel geströmt ist, zurück über die fruchtschweren Ebereschen in den Horizont kriechen, wo das ferne, weltabgewandte Septemberblau sich langsam mit dem Hitzedunst des Hochsommers füllt, und immer so weiter, zurückdrehen das ganze mühsame, millimeterweise Wachsen und Werden gegen die Zeit, die deine Heimat zu dem gemacht hat, was sie heute ist, eine kultivierte Sekundärlandschaft mit künstlich geschützten Biotopen, in denen das Alte und Ursprüngliche, das man schon immer für besser gehalten hat, vor dem Angriff der Gegenwart bewahrt wird, den Folgen deines Erinnerns, meines Erzählens, wie viele Jahre zurück? Bis zu welchem Punkt deines Lebens? Was genau muss passieren, damit in dem entscheidenden Sommer, auf den hier alles hinausläuft, das Wiedersehen mit deiner Mutter, wie sie es sich ausmalt, das friedvollste und versöhnlichste werden kann? Und tatsächlich, sie findet die Stelle im Buch, den Satz, der all ihre Hoffnungen trägt: Es klopft an der Tür.
    ◆◆
    Mama!, schießt es dir durch den Kopf, und dass du gestern in der Aufregung vergessen hast, ihr den Haustürschlüssel unter die Wolldecke zu schieben, in die leblose Hand. Auf dem Rollwagen zittert ein Tiegel, im Rahmen das Fensterkreuz. Wieder das Klopfen, jetzt schon ein Poltern; Dion, nun mach ihr endlich auf, oder soll sie draußen auf der Veranda erfrieren, in ihrer Bluse und der dünnen Haushose, die Marianne noch schnell in eine Tüte gepackt und dem Rettungsfahrer in die Hände gedrückt hatte. Herrje, mag deine Tante gedacht haben, die Arme hat doch gar nichts an!
    Gleich wird sie zur Tür hereinkommen, bleich und geschwächt von den Strapazen, mein armer Junge, die Stimme noch verkrächzt, ihr Hals schmerzt vom Schlauch, mit dem man ihr den Magen ausgepumpt hat. Alles egal, Hauptsache, sie ist wieder zu Hause! Am Nachmittag wird sie lang und tief schlafen, dann auf dem Klo die Kohle loswerden, die ihr das Gift aus dem Körper gesaugt hat, einen Allestopf kochen, mit üppiger Einlage. Sie kriegt noch kaum etwas runter, doch für dich gibt’s zusätzlich ein Nackensteak. Zimtpudding zum Nachtisch, dann erste zaghafte, noch ein wenig zerknirschte Worte, die dir versprechen, dass von nun an alles anders und besser wird. Also lauf!
    Auf der Treppe rutschst du im Überschwang fast aus, siehst im Butzenglasfenster tatsächlich den schlanken Schatten. Ein Hund beginnt zu bellen, du hörst die Stimme erst draußen, dann ihren Schall vervielfältigt aus den unteren Zimmern, als wäre eine Meute Schneehunde ins Haus gedrungen, Bestien mit gefrorenen Lefzen und Eiszapfen am Maul. Hat sie dir etwa einen Köter mitgebracht, ein Versöhnungsgeschenk aus dem Tierheim in Zeeve? Dein Blick fällt in den

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