Moor
Garderobenspiegel, wo dich ein geschminkter Junge im Seidenkleidanstarrt, mit Tussenmund und toupierter Mähne. Schirmstock und ein Bart aus Wollgrasblüten wären der bessere Aufzug für ihren Empfang gewesen, so hättest du dir gleich den Kuss verdient. Doch ab heute gelten neue Kostüme, andere Regeln, du die Mutter, sie das hilfsbedürftige Kind, längst überfällig der Rollentausch, und damit sie nun hilflos stottert und du nur müde dazu lächelst, soll sie dir einfach etwas aus dem Kirchenboten vorlesen, den Leitspruch für die Woche: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Himmelreich, Markus Kapitel zehn, Vers vierzehn.
Ihr Wort in meinen Ohren; kaum schleudert eine Bö die Tür gegen die Wand, stoße ich dir Tanja in die Arme. Der Welpe klemmt dazwischen und bellt. Du klappst schon den Mund auf, Achtung, Falle!, rufe ich, da gefriert dir der Gruß auf den Lippen – oder ist es doch ein Laut der Enttäuschung, dass es nicht Marga ist, die du umarmst? Der Entschluss, von nun an zu schweigen, den du gestern gefasst hast, ist die Voraussetzung für alles, was jetzt kommt, das Siegel, mit dem wir unseren Bund geschlossen haben: Du gibst mir deine Sehnsucht nach einer vollkommenen Sprache, ich erfülle dir dafür die Träume, für die du die Worte nicht schaffst. Hier hast du Tanja, aber halt bloß dein Maul!
Das ist ja lebensgefährlich, sagt sie und deutet hinaus in das Wogen und Walzen des Schnees. Ronja zappelt und schnüffelt an deinem Hals, die rosa Zunge mit schwarzen Flecken an der Spitze, die dir übers Kinn fährt, kein Sturmmonster mit Eiszapfenzähnen, ein Babyhund, Deutsch Kurzhaar, Dion, wovor hast du Angst?
Tanja mustert dich und denkt dasselbe: Wenn er doch nur ein, zwei Jahre älter wäre und nicht so verklemmt. Und dieses Stottern! Das arme Mädchen, das ihn trotzdem einmal will, wird vorm Traualtar das Ja-Wort buchstäblich aus ihm herausschütteln müssen. Sicher ist er, was die Liebe angeht, noch völlig unschuldig. Sammelt statt Erfahrungen lieber Libellen im Moor. Doch sie mag deine Augen, den tiefen, traurigen Glanz. Ganz anders als der Aufschneiderblick von Hannes, der sie frieren macht. Frieren und Schwitzen zugleich. Ob er weiß, denkt sie, dass Hannes und ich …?
Klar weißt du das! Und wie dich das fuchst! Deinen Kopf mit flackernden Bildern erfüllt, die nächtelang nicht verlöschen. Die Eifersucht taucht deine Phantasien in ein gedämpftes gelbes Licht, eine Farbe wie das Gefühl: Wie sie dicht an dicht im Heuboden kauern und sich kaum bewegen, nur manchmal streckt einer ein Bein aus, wechselt den Arm, der den Kopf stützt. Das Stroh knistert, die Bohle knarrt, als sie das Gewicht verlagert, auf die andere Hinterbacke, unter die er noch immer nicht seine Hand geschoben hat, obwohl sie da liegt, die offene Hand, bereit, sie aufzunehmen, denn Hannes hat eine große, feste, einladende Hand, und sie presst die Luft in den Unterbauch, als könnte sie so rund und handlicher werden, schmiegsam wie Daniela, doch er rührt sich nicht. Unten im Stall das schläfrige Grunzen der Schweine, Laute aus einem warmen, rotglühenden Innern, draußen knackt der Frost.
Ob sie nicht besser in die Sakristei gehen sollen? So spät am Abend, mag sie denken, wird der Vater nicht mehr hineinmüssen, sie wären ungestört. In dem kleinen Raum riecht es nach Mottenpulver und erloschenen Kerzen, zur Adventszeit auch schwach nach Tannennadeln, wenn die Zweige fürden großen, schweren Kranz sich schon in der Ecke türmen. Der Abendmahlwein verbirgt sich im Schrank, wo auch der Talar und die Beffchen hängen, gebügelt und gestärkt von der Mutter. Die Vorstellung, wie sie in Hannes’ Armen auf dem Läufer vor dem Schrank liegt, mit der lauschenden Stille der Gebetsbänke nebenan, hat Stacheln und Dornen, das Bild fährt dir als bohrender Schmerz in die Brust.
Lass sie besser im Heuboden bleiben, dort trauen sie sich nicht, zur Sache zu kommen. Der Knecht könnte hereinkommen. Hannes wickelt einen Strohhalm um den Zeigefinger, spannt ihn zur anderen Hand, wo die Zigarette klemmt. Die Asche schnippt er ungeduldig auf den Boden. Er hat zu viel Kraft in den Händen, selbst im letzten Fingerglied, das auf die Kippe mehr schlägt, als tippt. Die Glut leuchtet auf, sein Gesicht wirkt im Halblicht gerötet, doch an Scham oder Schüchternheit glaubst du hier nicht.
Auch Tanja mag rätseln, warum er so glüht. Ob das nicht gefährlich sei, hier zu rauchen?, fragt sie. Er
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