Moor
zuckt die Schultern, brennt den Strohhalm an und sagt: Doch. Sie atmet aus, spürt die Wärme aus ihrem Mund über die Finger streichen, der Rest des Körpers kalt, in tauber Erwartung. Durch die Ritzen zieht es, auch das Stroh dünstet klamm. Zur Mutter hat sie gesagt, sie würde mit Daniela für das Konzert üben, das die Konfirmanden beim Adventsbazar aufführen sollen, sie, Tanja, Flöte, die Bloch-Tochter am Klavier.
Irgendwas sagen, denkt sie, jetzt bloß nicht ihre Beklommenheit zeigen. Ob er auch ein Instrument spiele? Hannes zuckt wieder die Schultern, sagt: Wenn, dann Schlagzeug. Er drückt die Zigarette auf dem Holz aus, es riecht verbrannt. Fädelt zwischen seinen Fingern den Strohhalm auf. Und der Katthusen aus deiner Klasse, sagt er, was spielt der? Sie starrtins Dunkle, hinüber zur Lattenwand, wo der Laternenschein vom Hof durch die Ritzen dringt, Lichtpunkte wie tausend winzige Augen. Plötzlich hat sie das Gefühl, als schautest du herüber, nein, vielmehr wünschst du dir, dass sie in diesem Moment an dich denkt, deine Augen auf sich ruhen glaubt.
Der glotzt dich immer so an, sagt Hannes, den Halm jetzt zum Zerreißen gespannt, der ist nicht ganz koscher. Ihr Kopf sinkt auf seine Schulter, nur so weit, dass sie an ihrer Schläfe ganz leicht den kalten Parka spürt. Ach, Dion ist doch süß, winkt sie ab und hofft, das würde ihn provozieren. Er fasst sie am Ellenbogen und zieht sie herüber. Hat er was über mich gesagt? Sie riecht den Zigarettenatem aus seinem Mund, das Deo, das er ein wenig zu großzügig versprüht hat. Die Lichtpunkte haben sich alle um seinen Kopf versammelt. Der Schmerz im Kreuz ist jetzt klar und scharf. Trotz des Strohs spürt sie die Härte der Bretter, tief unten, wie einen noch weit entfernten Aufprall in einem dieser Träume, in denen man stürzt und doch nie zerschellt. Der Kuss jetzt schon so nah, dass sie die Risse auf seiner Unterlippe sieht. Hannes verharrt, weicht aus, sein Ziel scheint ein anderes. Der weiß über uns Bescheid, flüstert sie, um den Raum zwischen den Mündern, der ihr plötzlich unüberbrückbar erscheint, doch noch mit einem Geheimnis zu füllen.
Unten quietscht die Tür, Licht flammt auf. Die Bäuerin ruft nach ihrem Sohn. Sie hält die Luft an, seine Hand im Stroh ballt sich zur Faust. Ein zweites Mal Mariannes Stimme, dann fällt die Tür wieder ins Schloss, und die Dunkelheit sinkt zurück in ihre trübe Stille. Nur ein paar Schweine scharren jetzt lauter als zuvor, und die Augen in den Ritzen sind hell und kalt. Sie hat das Gefühl, einen Verrat begangen zu haben, doch weiß sie nicht, an was oder wem.
Aber du bist ja nicht blöd! Hast deine Augen tatsächlich überall und siehst, wie sie mit dir spielt, deine Eifersucht genießt und mit ihrem großen Fang kokettiert. Warum sonst sollte sie dich jetzt so spöttisch mustern, während du in deinen Armen ihren Hund zu beruhigen versuchst? Ronja aus!, ruft sie, als die raue Zunge abermals über dein Kinn schleckt. Ihre Mutter sei ja eigentlich gegen den Hund gewesen, weil der, wenn er groß ist – und sie bemisst mit der Hand etwa Hüfthöhe –, sie umwerfen und ihr die Knochen brechen könnte. Spitze Geräusche schneiden dir ins Fleisch, das Welpengewinsel, Tanjas Sitz!- und Platz!-Befehle, und die Tür kracht an die Wand; danke, Dion, ich bin drin. Seid ihr bereit für den großen Spaß?
Endlich nimmt sie dir den Köter ab. Der springt zu Boden, hockt sich hin und pinkelt vor Freude auf die Schwelle. Tanja klopft sich den Schnee von der Jacke, solche Mengen, dass die Pfütze am Boden kaum auffällt. Dann ist ihr Gesicht plötzlich in dem langen Schal verschwunden, den sie sich vom Hals wickelt. Ronja fasst den Zipfel und schleppt ihn als Beute davon, dreht Tanja wie eine Spindel aus der Wolle. Du willst ihr helfen, zu gefährlich scheint dir das Spiel, das sie niederwerfen und verletzen könnte, doch ich zische Finger weg! und schleudere sie aus der Schlinge gegen die Kommode. Hausaufgaben, sagt sie atemlos und reicht dir die Plastiktüte. Der Schulbus sei im Schnee stecken geblieben, die Hälfte der Klasse gar nicht gekommen, nur Gorbach, seufzt sie, will schon wieder einen Erlebnisaufsatz, und sie blinzelt dir zu, als wüsste sie längst um das lustige Stück, das ich hier mit euch einstudieren will.
Ob er was ahnt?, denkt sie, er schaut so komisch. Vielleicht war es falsch, herüberzukommen. Aber wo sonst hätte sie nach dem Zoff mit der Mutter hinsollen? Zu Daniela geht sie ja
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