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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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das verrät sie dir nicht. Wegen der Tampons gab es wieder Streit mit der Mutter, die ihr zu Binden riet, diese dicken Dinger, womit du aussiehst, als wär’ dir der Schiss in die Hose gerutscht. So hat sie es Danny erzählt, als die noch ihre Freundin war; die Scherereien mit dem Frauwerden, und dass die Mutter in Wahrheit Angst um ihr Jungfernhäutchen hat. Sie prusteten los, rissen die Tamponpackungen auf, die sie sich im Zeever Drogeriemarkt besorgt hatten, und probierten verschiedene Größen.
    Das Jungfernhäutchen hat dann allerdings nicht der o.b., sondern Hannes erledigt. Obwohl er vorsichtig war, hat sie stark geblutet. Ihre Beine waren verschmiert, seine Hände auch, und obwohl das alles aussah wie bei einer Operation und es auch dementsprechend wehtat, hat er an ihr herumgequetscht und dabei immer Mannohmann! gestöhnt. Sie wischte sich mit einer Handvoll Stroh ab und wusste nicht, wohin damit. Draußen pladderte der Regen aufs Dach.
    Tanja streicht sich den Pullover über der Brust glatt, wo sich noch kaum etwas wölbt. Bei Daniela sei alles so groß, kein Wunder, seufzt sie, dass alle auf die stehen. Du nickst, schüttelst gleichzeitig den Kopf und hoffst, dass sie die Antworten richtig zuordnet. Wenn ich erwachsen bin, werde ich Hängebrüste haben. Sie sagt es forsch, fast wie einen Vorwurf gegen dich. Wegen meinem Bindegewebe. Schau! Sie zieht den Pulli hoch und kneift sich in die Haut. Außerdem hätte der letzte Test ergeben, dass sie bereits ein bisschen schwerhörig sei. Also sag die Wahrheit – ihr Blick jetzt misstrauisch und angriffslustig –, findest du mich trotzdem hübsch?
    Keine Spucke mehr in deinem Mund, nichts als das ausgetrocknete T von total. Tanja legt die zur Muschel geformte Hand ans Ohr, spielt die taube alte Frau und krächzt: Ich kann Sie nicht verstehen! Du zuckst zusammen. Woher kennt sie die Greisenpantomime? Sie beginnt wieder zu husten, du legst ihr die Hand auf den Rücken und streichst über die Wirbelsäule, als könntest du so die Tablette, die in ihrem Hals feststeckt, nach unten lenken. Durch das Butzenglas sehe ich zwei Schatten in der Diele nah beieinanderstehen, bereit, sich zu vermischen. Verdammt, Kinder, lasst mich herein! Als die Pille im Magen ankommt, ziehst du schnell die Hand zurück. Und jetzt, Dion?
    Alle nach oben.
    Ronja kennt schon den Weg und hoppelt voraus. He, rufe ich euch hinterher, ihr könnt mich hier nicht einfach stehenlassen!, und ich werfe mich mit voller Wucht gegen die Tür, so dass mir für einen Moment tatsächlich die Puste ausgeht.
    Alles, was draußen noch halbwegs ragt, richtet sich ächzend auf: Der Giebel entkrampft, die Scheune spitzt mit verbogenem First aus dem Windschatten des Hauses hervor, Birke und Erle entwirren die Zweige und schütteln den Schneepanzer ab. Eine Krähe nutzt die Flaute, um in ein besseres Versteck zu flüchten. Sie stößt aus einem Gebüsch hervor, torkelt durch die Luft und hinterlässt einen schwarzen Kratzer im Bild, das schon fast vollkommen weiß, beinahe perfekt ist. Ich packe den Vogel und schleudere ihn zu Boden.Eine Weile duckt er sich neben einen Erdhaufen, sträubt das Gefieder und hackt mit dem Schnabel in den Schnee. Ich löse eine Lawine von der Schütte, ein Flügel reißt aus, dann ist die Krähe gelöscht.
    Im Moor brechen die Linien auf; das geometrische Raster der Torfrippen mit den fast schon eingeebneten Hügeln nicht abtransportierter Soden, die flachen Rinnen der Dräne zwischen Flurwegen und Ackerfluchten verpulvern. In den Föhrenwäldern knicken die Zweige unter der weißen Last gischtender, alles verschlingender Wogen, die sich aus der Ebene herüberwälzen, vom großen Kolk, wo die Luft so prall ist von Eissplittern, dass man sie kaum mehr atmen kann, und selbst die zähen Torfmoose drohen unter den Schneemassen zu ersticken, die sich an den Flanken der Bulte auftürmen, unter ihrem eigenen Gewicht verharschen und erst im April, wenn die letzten Krusten abgeschmolzen sind, die Spuren ihrer Zerstörung in den Polstern zeigen werden, den Frostbrand im filigranen Geflecht, schuppige bräunliche Stellen, wie sie ähnlich auch die Füße der Forstarbeiter hinterlassen, die eine über Jahre gewachsene Torfmoosgesellschaft mit einem einzigen Tritt vernichten können, so dass es, nachdem man das Bruchholz fortgeschafft hat, am Ende des Winters hier aussehen wird, als wäre eine Infanterie über den höchsten Punkt der Ebene marschiert, der gleichzeitig ihr innerster und schwerster

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