Moor
die Freundin die Details so plastisch erzählte, dass sie sich all das kaum ausgedacht haben konnte, phantasielos, wie sie sonst im Erlebnisaufsatz ist, bei dem Daniela meistens mit ausreichend davonkommt, sie, Tanja, aber brilliert, obwohl beide ein gemeinsames Abenteuer schildern. Also hat sie Daniela in Gedanken die Rolle der Entjungferten gestohlen: Statt der Bloch-Tochter saß da plötzlich sie selbst mit Hannes im Versteck. Während die andere mit ihrer Liebesnacht prahlte, spürte Tanja den geheimnisvollen Bewegungen nach, die Daniela ihr flüsterte, sogar den Schmerz im Unterleib glaubte sie zu empfinden, die Stiche und Krämpfe, von denen sie sprach, all das Blut.
Das war vor den Sommerferien gewesen, als die beiden noch so etwas wie ein Herz und eine Seele waren, also alles zusammen dachten, fühlten und erlitten. Seit dem Kindergarten war die Tochter der Krämerin Tanjas engste Vertraute, ein Mädchen, das damals auch meistens alleine gespielt hatte, dick und schwerfällig, wie sie war, mit dieser nässenden Schuppenflechte auf der Haut. Dann wurde aus dem hässlichen Entlein plötzlich der Schwan, alles Fett rutschte an den richtigen Platz, und die Schorfplacken verwandelten sich in Pickel, unter dem zartrosa Puder kaum mehr zu sehen. Erste Streitereien, der wöchentliche Bein- und Brüstevergleich,Fremdgänge mit Yvonne, der Tochter des Wirts, mit der sie während der Ferien im Dorfkrug ausschenken durfte, gegen ein Taschengeld und die ungleich wertvolleren Blicke der Jungs am Kicker.
Als Hannes einmal sein Bier zahlen wollte, habe Daniela angeblich gesagt, das gehe aufs Haus. Es seien, hat sie später ihr, Tanja, verraten, aber nicht nur ein, sondern vier Bier gewesen, der ganze Lohn für den Abend futsch. War trotzdem billig, erwiderte Tanja trotzig; sie wusste nicht, auf wen sie eifersüchtig sein sollte – auf Hannes, weil der ihr die beste Freundin weggeschnappt hatte, oder auf Daniela, die nun mit dem Sohn des Bauern ging, der sie bisher doch gar nicht interessiert hatte.
Sie wich ihrem Blick aus und starrte in die Zimmerecke, wo sich der Haufen Plüschtiere türmte, denen sie früher beim Spielen Geschlechter zugeteilt hatten, wobei die neuen, noch flauschigen immer die Weibchen und die schon abgegriffenen die Männchen gewesen waren, die raus aufs Feld mussten, während die Frauentiere drinnen kochten und im Kaufladen winzige Schachteln Persil oder Maggi mit Pfennigstücken zahlten, die größer waren als ihre Pfoten.
Dann hatte sich plötzlich die langbeinige Katze in einen der Tagelöhner verliebt, ausgerechnet in das hässliche Plastikschwein, dem sonst immer nur die Rolle des Raufbolds zugeteilt wurde. Daniela bestand darauf, eine Hochzeit zu spielen, in einem Bauernhof aus Bauklötzen und mit den schönen Steiff-Bärchen als Ferkel, das war der Anfang vom Ende gewesen. Die Feierlichkeiten endeten im Streit, weil die Kätzin von ihrer Trauzeugin, der Mäusin, verlangte, für die Hochzeitsnacht die Kissenhöhle zu räumen, in der sie, Tanja, gebettet lag. Die graue Maus, geschasst von der falschen Katze, sann auf Rache.
Wenn eine im Dorf wirklich eine Schlampe ist, denkt sie jetzt grimmig, dann ist es nicht Dions Mutter, sondern Danny. Kein Mann ist da unten so groß, wie sie von Hannes behauptet. Erst war’s ein Füller lang, dann, eine Woche später, schon ein Lineal, das war ihr dann doch etwas arg. Dion würde es langsam und vorsichtig machen, da ist sie sich sicher. Der ist keiner für die schnelle Nummer. Sucht auch die große Liebe, Hannes aber fackelt nicht lange, dafür ist er bekannt. Seit dem Abend an der Jumme stellt er ihr nach. Hält ihr in der Schule die Zwischentür auf, was noch nie jemand für sie getan hat. Selbst die Lehrer schlüpfen noch schnell durch, und sie prallt gegen das Glas. Hannes, denkt sie, muss das einmal gesehen haben. Seitdem lungert er auf seinem Mofa vorm Haus herum, und heute dann sogar die Einladung ins Hallenbad. Da hat sie sich wieder Geschichten mit ihm ausgemalt. Stolz war sie, dass ausgerechnet er bei ihr anruft, eine echte Pleite für Daniela. Doch bei der Vorstellung, wie er ihr im Hallenbad zur Umkleide folgt, sie hineinschubst, die Tür abschließt und dann mit seinem Lineal voll …
Wir könnten wie Geschwister sein, sagt sie und sieht, wie du Luft holst und für deinen Protest schon den Mund aufklappst. Mit dir kann man Pferde stehlen, impft sie dich mit süßer Stimme, spitzt die Lippen und drückt dir den Mund auf, so kindlich und
Weitere Kostenlose Bücher