Moor
Kern ist, mit den massiven Schwarztorfschwämmen, die sieben Meter tief in die Erde hinabwurzeln und in den nächsten Wochen, wenn die Nachtfröste in zweistellige Bereiche absinken, bis in die letzte Pore durchgefrieren, langsamer, aber auch längerfristiger als die sandigen Böden der Magerwiesen und angrenzenden Viehweiden. Hier draußen am Kolk, auf der baumlosen Kuppe, wo sich meine Kraft auf freier Bahn vervielfacht, wird der Torf noch im Frühjahr vergletschert sein, deine Erinnerung an das schwerste Winterunwetter dieses Jahrzehnts eingeschlossen in mein kaltes Herz.
Ich sammele Kraft für den nächsten Coup, erklimme die Westwand, wo die Schlafzimmer liegen, und breche den ersten Ziegel von der Lattung. Bald wird das Haus nackt und verletzbar sein, kein schützendes Dach mehr über euren Köpfen. Im Dorf wird es später heißen, nicht ihr selbst habt den Unfall verursacht, auf den hier alles hinausläuft, nein, abermals wird es das Moor gewesen sein, das kindersüchtige Ungetüm, seine uralten und urbösen Kräfte, die euer Unglück herbeizwangen. Am Ende dieses Tages wirst du wissen, was es heißt, Schuld auf dich geladen zu haben, doch man wird dich freisprechen und abermals mich anklagen, der ich in Fenndorf für alles herhalten muss: die miesen, ausgelaugten Böden, das schlechte Wetter, die harten Winter und die Armut des Landstrichs, sogar der Tod deines Vaters, alles geht auf meine Kappe, darauf nämlich haben sich im Dorf am Ende alle geeinigt.
Dabei war es Karl Lambert, der mir in die Hände gespielt hat. Wie lange er es schon mit seiner Frau treibe?, rief er in den Donnerschlag des losbrechenden Gewitters, als dein Vater am Teich die Torfsoden unter der Plane verzurrte. Das fragten ihn, Karl, mittlerweile auch schon die anderen am Stammtisch. Dein Vater blickte zum Haus, wo er im Fenster den gewölbten Schatten deiner schwangeren Mutter zu sehen glaubte. Er drehte sich weg und sagte: Lieber ficke ich eins deiner Schweine als deine Frau. Im nächsten Moment krachte und splitterte es, doch nicht von Karls Fäusten, die den Bruder zu Boden schlugen. Ein Ast brach von der Erle, in die ich einen Blitz schleuderte, um dieser Dorfposse einEnde zu bereiten, was mir wirksamer gelang, als ich es geplant hatte: Das herunterprasselnde Gezweig riss die beiden Kampfhähne auseinander und deinen Vater in den Teich, wo er, am Kopf schwer verletzt, nach ein paar hilflosen Ruderbewegungen das Bewusstsein verlor und versank, ungefähr dort, wo heute der tote Ast, den du nicht zu Unrecht als Klaue bezeichnest, die Wahrheit beharrlich im Wasser verborgen hält, so dass auch deine Mutter bei ihren allmorgendlichen Schwimmrunden nichts anderes tun kann, als an der Stelle innezuhalten und ratlos in die Tiefe zu starren, wo die Legende deines Vaters im Torf eingelagert liegt, und auch du, Dion, wirst dich später nur noch vage an meine Gewalt erinnern, die du in deinem Buch noch einmal losbrechen lässt: verzerrt, vom Vergessen durchlöchert und mit einer Fülle von erdachten Details künstlich wiederbelebt der Moment, wie du Tanja ins Badezimmer geführt und in Margas Zahnputzbecher einen Schluck Wasser gezapft hast, eine Geste, die sie erst mit einem schiefen Lächeln erwiderte, doch dann, nachdem sie die Schmerztablette endgültig in den Magen gespült hatte, sogar mit einem schnellen Kuss auf deine Wange belohnte, und dir eine Woge des Glücks aus dem Bauch herauf in die Kehle stieg, alle Wortknoten und Satzverhärtungen wegschmolz und dich mit einem Gefühl von Rausch und Freiheit erfüllte oder einfach mit der Dusseligkeit des verknallten Jungen, der tief Luft holt und ganz ohne Stottern sagt: Ich liebe dich.
Was?, rufen Tanja und ich gleichzeitig. Verräter, du hältst dich nicht an unsere Abmachung!, und sie denkt: Mist, jetzt muss ich ihm die Wahrheit sagen. Er ist ein guter Kerl, der es nicht verdient, belogen zu werden. Sie legt dir die Hand auf die Wange. Mein Lieber, seufzt sie und betont es mütterlichwie Marga mein Junge oder mein Liebling. Sie druckst herum, beschwört es schließlich mit hauchzarter Stimme: Auch sie habe dich ja sehr lieb. Wie einen Bruder, fügt sie hinzu; sie weiß, es klingt erbärmlich, doch sie will und kann es nur mit Hannes.
Natürlich stimmt es nicht, dass der sie auf dem Heuboden entjungfert hat. Niemand hat das bisher, weshalb die Vorstellung sie nicht mehr losließ, wie Daniela ins Stroh blutet und Hannes kaum mehr zu halten ist. Zwar glaubte sie die Sache nicht, auch wenn
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