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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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angebrochen. Hier setze ich meine Arbeit fort. Unten höre ich Tanja gicksen.
    Komm, lass uns was Lustiges spielen! Sie zückt Kamm und Schminkstift. Mit ein paar Handgriffen hat sie dich zum Ebenbild in Brünett gemacht. Legt dann selbst nach, hier ein Tupfer, dort ein Strich, die Mähne toupiert, Haarspray drauf, im Spiegel schmiegt sie sich an deine Schläfe. Lesbische Liebe gibt’s bei den Libellen nicht, knirsche ich mit Tonbröseln zwischen den Zähnen und trete ins Bad. Ein kalter Luftzug fährt dir unter das Nachthemd.
    Erschrocken drehst du dich zur Tür, wo Margas Kleider am Haken schaukeln. Auch im Flur schwanken die Schatten. Ob das von den Tabletten kommt? Tanja biegt sich vor Lachen und wirft den Wattebausch weg. Aber was, denkt sie, wenn er merkt, dass ich lüge? Wohin, wenn er mich rauswirft? Sie muss eine Taktik finden, wie sie seine beste Freundin werden kann. Ich liebe Hannes nicht, sagt sie und schaut dich herausfordernd an. War das gut?, fragt sie sich, glaubt er mir? Keine Sorge, beruhige ich sie, das war genau der richtige Ton für Intimes von Schwester zu Schwester. Raus mit der Wahrheit!, rufst du in Gedanken, und sie mit beschwörender Stimme, als hätte sie es in deinem Blick gelesen: Mit ihm macht es halt Spaß. Spaß!, echot es in deinem Kopf, das Codewort zum Freundehaben, Jummebaden, unaussprechbar für einen wie dich.
    Er mache all die Sachen mit ihr, die sie wegen ihrer Krankheit nicht dürfe, Bier trinken, ins Hallenbad, Mofa fahren. Schau! Sie zerrt den Ausschnitt ihres Pullovers über die Schulter, tippt auf eine Stelle und grinst: Da hatte ich von ihm einen blauen Fleck.
    Rückblickend kommt es ihr wie lange geplant vor: als er so plötzlich bei ihr auftauchte, Ende September, kurz nach dem großen Krach mit der Freundin. Er wollte eine Runde mit dem Mofa drehen, sagt sie und spürt, wie die Geschichte dich anspitzt. Dabei habe es in Strömen geregnet. Zum Glück sei die Mutter im Singkreis gewesen, der Vater nach Rahse, ein Todesfall. Nur Jule, die kleine Schwester, erinnert sie sich, lugte durch die Tür, musterte Hannes neugierig und rief: Mama sagt, du bist ein Rüpel! Dann setzte sie sich die Puppe auf den Kopf, hüpfte durch den Flur und quäkte Rüpel, Rüpel, immerzu dieses Wort. Sie sperrte die kleine Schwester ins Bad.
    Er war ganz rot im Gesicht, lacht sie, seine Löffel haben richtig geglüht. Sie zückt den Lippenstift und malt dir übermütig einen Strich aufs Ohr. Dann waren da plötzlich Kälte und Regenschauer, die zur Diele hereinfegten. Im Bad trat Jule gegen die Tür. Hannes deutete zu seinem Mofa auf dem Platz und sagte: Spritztour?
    Kein Schwein fährt bei dem Wetter draußen herum, zögert sie die Pointe hinaus und sieht in deinen blitzenden Augen, wie du jetzt mehr wissen willst, alle Details, die ganze Geschichte. Wie er mir die Gangschaltung erklärte, orakelt sie, als wäre ich sein bester Kumpel. Sie sei sogar selbst ein Stück gefahren, auf dem Heidedamm, durch Pfützen, die unter den Rädern wegspritzten.
    Im Halbdunkel hinter den Lidern, die von den Schmerztabletten schwer geworden sind und den Blick verschleiern, sieht sie wieder das schaukelnde Moor um sie herum, spürt noch einmal seine Hände: Er saß hinter mir, lockt sie dich, und hat mich sacht in die Kurven gedrückt, so, wie es die Profis machen. Profis, wiederholst du in Gedanken und weißt schon, wie sie das meint. Richtig gefährlich sei das gewesen, nickt Tanja.
    Hannes ließ das Mofa vorne hochgehen wie ein scheuendes Pferd. Von Danielas Zimmer aus schaut man auf die Torfkuhlen, weshalb sie sich vorstellte, wie die Eifersüchtige Hannes und sie beim Ritt durch das Moor beobachtete, aber das erzählt sie dir nicht. Er schlug vor, über die Torfrippen zum Teich zu fahren, das würde ordentlich schütteln. Sie rief hü hott!, die Räder drehten durch, hinten schoss eine Schlammfontäne hoch. Mit fuffzig Sachen, lacht sie, sind wir über die Buckel. Sie hüpfte auf dem Gaul rauf und runter und hatte nun doch ein wenig Angst.
    Doch das ist nur die halbe Geschichte. Den Rest, den sie dir verschweigt, hast du in deinem Versteck zwischen den Erlen ja selbst gesehen. Sie sind dort ins Schilf – weil Hannes eine rauchen wollte, würde Tanja sicher behaupten. Doch du weißt es besser, willst widersprechen, die Wahrheit aus ihr herauskitzeln: Hat er sie nicht unter Vorwänden in die blickdichten Binsen gelockt? Ich wische dir mit kaltem Hauch über den Mund; erinnere dich an unseren Pakt! Das

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