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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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keusch, dass dir im Vergleich die Zärtlichkeiten deiner Mutter wie lüsterne Bisse erscheinen. Ob du nie eine Schwester haben wolltest?, lullt sie dich weiter ein und fasst deine Hand.
    Nein! Wolltest du nie! Los, Dion, schrei ihr das ins Gesicht, den Frust dieser Niederlage, doch da ist nur das Drücken in der Kehle, und auch weiter unten ein Gefühl, als würde die eigene Haut nicht mehr passen und der Körper zusammenschrumpfen auf einen winzigen Punkt, den kleinsten gemeinsamen Laut aller je missglückten Worte.
    Du würgst an einem Satz, der beweisen soll, dass du, Dion, sie, Tanja, ehrlich und ohne Hintergedanken willst, so dass sie, hättest du ihr versprechen wollen, durch deine Liebe ein langes, behütetes Leben haben oder sogar gesunden könnte, denn die Behinderten seien in Wahrheit den anderen weit voraus. Während die Gesunden an allem vorbei auf ein unbestimmtes Ziel zulaufen, sieht die Fußlahme die Blume am Wegesrand und hört der Stotterer das Summen der Insekten, hören und sehen du, Dion, und sie, Tanja, den Balztanz der männlichen Stotterlibelle mit dem Glasknochenweibchen, die sich jetzt zum Paarungsrad vereinen, denn bei ihrer Liebe ist es völlig egal, ob die Kinder, die dabei herauskommen, stottern oder Glasknochen haben. Libellen sprechen nicht, sind aus Chitin und müssen sich auch wegen keiner anderen Verkrüppelung die Haare raufen, Haare nämlich würden deine und ihre Kinder auch nicht haben, weder flachsblonde noch moorbraune, sie fliegen und ficken in der Luft, Punkt.
    Am Ende deines Ringens dann doch noch ein einziger verunglückter Satz: Erst mit zwei Tabletten hebe man ab, presst du hervor und hältst ihr die Hand hin. Stimmt, flüstere ich Tanja zu, deine Worte! Da drückt sie auch schon zwei weitere Pillen aus dem Blister. Ihr schluckt und spült aus dem Zahnputzglas nach. Das wird ihn müde machen, denkt sie, so gewinnt sie Zeit.
    Du bräuchtest ja keine Geschwister, rechtfertigt sie ihr Lavieren und Lügen, mit dieser tollen Mutter! Das Grinsen will ihr nicht gelingen, der Mund hängt schief und wirkt jetzt schmal und verkniffen. Sie hat doch recht!, stimme ich mit ein, Marga hat dir immer erlaubt, was andere Kinder niedurften: allein raus ins Moor gehen, bis nach Mitternacht aufbleiben bei einem Film aus dem Spätprogramm, wie hättest du auf dem Pausenhof angeben können mit deinem Wissen um Sexszenen und brutale Morde. Also beschwer dich nicht. Andere Kinder haben schlimmere Eltern, Hannes zum Beispiel, der von seinem Vater, wie es die Familientradition will, zum Schweinebauern getrimmt wird, und Tanja, deren Mutter es sowieso nie geduldet hätte, dass du mit ihrer Tochter gehst. Dann mach es halt mit ihr als Schwester, bei den Libellen ist das kein Problem!
    Tatsächlich hält Tanja auf deine Mutter große Stücke. Sie hat ihr zugelächelt, neulich, aus dem Wagen heraus. Sie sogar ein Stück mitgenommen, Tanja war noch immer im Gips. Die Katthusen saß im Minirock am Steuer, erinnert sie sich, obwohl es kalt draußen war, darunter sah sie die feinen Strümpfe mit eingesticktem Blattmuster, die sie wunderschön fand. Sie selbst hatte den langen, gestuften Rock an, den sie aus bunten Kitteln zusammengenäht hatte, in der Altkleidersammlung waren manchmal richtige Schätze zu finden. Dions Mutter, denkt sie, die ja Künstlerin ist, muss sofort ihr Talent erkannt haben. Hat sie für den Rock gelobt, auch ihre Haare schien sie zu mögen. Im Fahren strich sie ihr über den Scheitel und löste das Zopfband. So gefalle es den Jungs besser, sagte sie, und dass sie auch einmal so schöne Locken hatte, als die Männer sie noch wollten.
    Vor dem Laden klebte Danielas Mutter Sonderangebote und glotzte herein. Sicher, denkt Tanja, hätte Dions Mutter nichts dagegen, wenn ich eine Zeitlang hier wohne. Hat mich bis vor die Tür gefahren und sogar eingeladen, einmal herüberzukommen, um Kleider und Frisuren auszuprobieren. Erst als die Katthusen sich herüberbeugte, mit dem Finger auf dieWange tippte und einen Kuss verlangte, hat sie die Schnapsfahne gerochen. Sie, Tanja, sei etwas Besonderes. Sie drückte die Tür auf. Hör auf dein Herz, rief sie ihr hinterher, nicht auf deine Eltern!
    Ein dumpfer Schlag im Haus. Was war das? Tanja lauscht nach oben. Ich habe den zweiten Ziegel vom Dach gerissen, zwänge mich durch das Loch und schaue mich im Speicher um. Balken, die nicht nachgeben, wie sehr ich auch daran rüttele. Die Lattung ist gut verzimmert, die alten Ziegel aber teils schon

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