Moor
bleibt dein Geheimnis!
Natürlich folgte sie ihm, obwohl ihr der Teich unheimlich ist. Immer dampft es dort, und es gibt Tiere. Sie mag Pferde, Schafe, weil jedes anders blökt; und Kühe, wenn die von der Weide herüberstarren, bereiten auch ihr diesen wohligen Schauder, als wären es in Rinder verwandelte Außerirdische, die Informationen über die Menschen sammeln und ihr Wissen ins Weltall funken. Wahr aber ist, dass ihr im Schilf nicht wegen der Blicke irgendwelcher Kreaturen unbehaglich wurde. Von Daniela wusste sie, dass Hannes auch dort schon mit ihr die Sache gemacht hatte. Im Schilf sehen es nur die Vögel in den Bäumen, die funken es den Kühen drüben auf der Wiese, und, zack, weiß es ihre Mutter, die einen guten Draht nach oben hat.
Du gibst einen zweifelnden Laut von dir, als sie deine Hand nimmt und auf die Stelle legt, wo angeblich der Bluterguss war. Okay, mit solch Kinderkram kann ich euch nicht mehr kommen. Sie hat sich dennoch zum Dorf umgedreht, als Hannes immer tiefer in die Binsen vordrang, die vom Wind geknickt waren. Niemand sollte sehen, was gleich geschieht. Sie wusste ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie drüben im Erlengestrüpp schon längst einen Beobachter hatten. Hannes, der fast eins neunzig groß ist, überragte das Schilf, und das war der Moment, als du die beiden bemerkt hast.
Schau, sagt sie und drückt deine Finger fest in ihr Fleisch, sie sei gar nicht so anfällig, wie alle denken. Ich bin schon mit gebrochenen Knochen zur Welt gekommen, was soll da noch passieren? Sie blickt dich mit erwartungsvollen Augen an, rückt noch enger, die Schlange, denkst du, so hat sie es am Teich auch mit Hannes gemacht.
Dabei will sie doch nur deine Nähe, ein bisschen Trost und Gewissheit, dass du es gut mit ihr meinst. Ist doch eh alles egal, seufzt sie und presst deinen Daumen noch fester auf die knochige Schulter. Damals, erinnert sie sich, war der Fleck violett und fingerlang, von der Achsel bis fast auf die Brust. Sie hat ihn der Mutter gezeigt, nicht wirklich, aber im Badezimmer auch nicht vor ihr versteckt, sie war fast ein wenig stolz darauf. Woher sie das habe? Die Mutter packte sie am Arm, was wirklich gefährlich ist – als Säugling, so erzählt sie es immer mahnend, habe sie Tanja herumgetragen wie ein rohes Ei. Da ist es mit ihr durchgegangen. Dass die Mutter mit dieser Krankheit gar keine Kinder hätte bekommen dürfen, dass sie die Kinder nur hat, um ihrem Gott zu gefallen, so hat sie es ihr ins Gesicht geschrien. Die Mutter stieß sie auf den Stuhl, und sie, Tanja, den Arm durch die Lehne und wie einen Knoten um den Stuhl herum. Sie erinnert sich, wie es gekracht hat. Nicht in ihrem Arm, aber im Holz; sie wusste gar nicht, dass sie so viel Kraft aufbringen kann, wenn es darauf ankommt. Die Mutter wie im Schock, ganz bleich, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Aber stattdessen eine Ohrfeige. Im Spiegel hat sie die Fingerstriemen gesehen, den unmissverständlichen Beweis. Sie deutete auf den Bluterguss und rief: Von dir ist das!
So wollte sie es Frau Doktor Burgwarth erzählen. Doch die hat sie zum Jugendpsychologen geschickt, der ihr komische Fragen stellte. Wie sie ihren eigenen Körper sehe, zu dünn oder zu dick. Genau richtig, erwiderte sie, und dass Daniela zu fett geworden und deshalb jetzt so gemein zu ihr sei. Der Psychologe – ein Mopsiger mit Brille und Schnauzer – hakte nach, wieso zu fett und was Daniela mit der Sache zu tun habe. Da hat sie ihm die ganzen Lügen aufgetischt: DassHannes und sie im Heuboden und in der Sakristei die Sache machen, und bei den verschiedenen Stellungen, die sie ausprobieren, könnte es schon mal vorkommen, dass er sie zu grob anfasst.
Der Therapeut schrieb mit, nahm zwischendurch die Brille ab und rieb sich die Lider, wo sie nur zwei kleine Schlitze sah, die Brauen als Borsten darüber, wie bei einem Maulwurf.
Ob ihr Freund, der Ha-hannes, las er vom Blatt ab, ihr schon gesagt habe, dass er sie liebe? Sie hatte bedeutungsvoll genickt, das war es ja, dachte sie, was er hören wollte. Und wenn er sie einmal nicht mehr liebe? Die Frage hatte sie nicht verstanden. Er hielt ihr daraufhin einen Vortrag über ihre Krankheit, all das, was sie längst wusste: dass ihr Körper nicht unbedingt wachse wie bei den anderen Mädchen, dass die anderen Mädchen schneller, gerader, gesünder und so weiter, und Ha-hannes, stammelte er wieder, der würde ja auch noch älter werden, wie alt der überhaupt sei, und dass er dann die
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