Moor
Therese Giering, die bekannte Schauspielerin, und er ließ den Stuhl gegen den Tisch krachen, Film schauspielerin, fügte er hinzu, falls du das auch nicht weißt.
Marga kippte die Teller ins Spülbecken und sagte: Arschloch. In seinem Gesicht war nun wieder alles am rechten Fleck. Dir gefiel der Bart, der seiner Mimik etwas Strenges und Klares, ja fast Väterliches verlieh. Erst viele Jahre später wirst du rückblickend von seiner Holzschnittfresse sprechen. Auch die Art, wie er dich zwischendurch angeblickt hatte, war dir aufgefallen; nicht wie ein Erwachsener das lästige Kind, das beim Elternstreit stumm in der Tür steht, nein, auf Augenhöhe, freundschaftlich, dich einbeziehend. Dir war, als hätte er deine Zustimmung gesucht.
Räum doch erst mal in deinem eigenen Leben auf; wieder erschien dir ihr Satz, den sie halb in deine Richtung gesprochen hatte, irgendwem nachgeplappert. In ihrem verängstigten Gesicht sahst du, dass sie selbst nicht daran glaubte. Dann fang mal an, sagte Daniel und warf den Lappen zurück, ich schau mir das Dach an. Er nahm zwei Stufen auf einmal, die Dielen knarzten, oben schlug die Speichertür. Als sie sich umdrehte, heulte sie. Doch selbst ihre Tränenschienen dir erzwungen. Formvollendet kullerten sie über die Wangen. Der Mund war leicht nach unten gezogen, als wollte sie weinen und konnte es nicht, eine schlechte Schauspielerin in der Rolle der unglücklichen Mutter.
Heute fragst du dich, wo du in diesem Moment gestanden hast. Manchmal siehst du dich am Tisch, dann wieder in der offenen Tür, hinter dir der Garten, der Damm, der Fluchtweg zurück zum Haus der Lamberts. Mit dem zeitlichen Abstand und all den Enttäuschungen, die noch folgten, würdest du jetzt anders reagieren; dich nicht stumm und verschüchtert in die Ecke verdrücken, sondern durchgreifen, auf den Tisch hauen, Tacheles reden; sie hätten sich, heißt es in deinem Buch, wie Kleinkinder benommen. Besser, du wärst Daniel in den Speicher gefolgt, der schon gelernt hatte, wie deine neue Mutter zu nehmen ist, oder zurück zu Marianne gelaufen, wo schon die Suppe auf dem Tisch dampfte; dein Magen, erinnerst du dich, knurrte laut, doch das war das Einzige, was in dir rebellierte.
Du pulst einen Stein aus dem Boden, wirfst ihn ins Wasser. Er zerreißt das friedliche Bild des Frühlingstages, das sich auf der Oberfläche spiegelt. Kleine Wellen züngeln ans Ufer. Sie hat mich belogen, denkst du. Mir Geschwister versprochen, Familienglück.
Glück? , hake ich nach. Komm, Dion, das kannst du besser ausdrücken, es wird Zeit, dass du dich endlich wehrst!
Du starrst aufs Wasser, wo die Wellen flüstern, wirfst mit Wucht den nächsten Stein. Er kracht gegen einen Stamm. Vorjahreslaub segelt, eine Krähe fliegt auf, keckert davon.
Los, trau dich! Wahr ist, dass sie auf Familie gemacht hat, damit du nicht wieder zu Marianne ziehst, der Konkurrentin.Hör endlich auf mit Mama , denk Miststück , sag Monster! , sei der missbrauchte, um sein Leben geprellte Sohn!
Du drehst dich weg, zu den Erlen; immer hast du zu den Erlen geschaut, bist raus ins Moor, wenn du nicht sehen wolltest, wer sie wirklich war. Stets warst du ihr lieber Junge, ein Musterknabe, der seine Mutter auf Händen trägt, hast sie verteidigt gegen die Welt, jedes Übel von ihr ferngehalten: Da war die Astklaue, die beim Schwimmen über ihr lauerte, also hast du wachsam ihre Bahn verfolgt. Ihr gegen die drohende Erkältung schnell das Handtuch gereicht, den Bademantel über sie geworfen, weil die Dörfler schon glotzten, dich von ihr belügen und für sie beleidigen lassen, und selbst nach der Szene in der Küche, als du hättest merken müssen, wie sie mit dir spielt, noch Worte des Trosts gefunden.
Sie hatte ja schon wieder diesen starren Gesichtsausdruck und kaute jetzt doch auf der Lippe, du dachtest, es sei wegen dir. Dabei war sie doch erst seit einer halben Stunde zurück. Einen ganzen Winter lang hattest du auf sie gewartet. Sie durfte jetzt nicht schon wieder heulen. Da hast du tief eingeatmet und den ersten zusammenhängenden Satz mehr gestöhnt als gestottert: Bestimmt ist sein Vater der Automechaniker.
Sie fuhr herum. Auf ihren Wangen waren keine Tränen mehr zu sehen, nicht einmal Spuren. hDas hMotorrad – und du hast zum Hof hinaus gedeutet –, er kenne sich gut mit Maschinen aus. Sie starrte dich ungläubig an, legte den Kopf in den Nacken und schüttelte sich. Ihr Haar war über den Winter gewachsen, reichte fast bis zu den
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