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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Schulterblättern. Du hättest dir eine Umarmung gewünscht, wenigstens ein Lächeln, das einvernehmliche, altbekannte Zwinkern, abersie lachte dich aus. Du hast recht, bist ein plietsches Kerlchen, Direktorensöhne, sagte sie, fahren Jaguar und keine abgehalfterte Honda. Sie packte dich am Arm und zog dich auf den Stuhl. Ob er bleiben solle? Ihr könntet eine Familie gründen. Vatermutterkind, kicherte sie, ihre Augen traten ein wenig aus den Höhlen. Du seist kein Kind mehr, lange hast du mit dem Satz gekämpft. Ha! Sie bog wieder den Kopf nach hinten, eine Bewegung, die sie in den nächsten Wochen oft wiederholen würde, als müsste sie etwas abwerfen, sich herauswinden aus einer unsichtbaren Fessel.
    Stimmt, sagte sie, du bist jetzt ein Mann. Sie schnippte dir mit dem Finger gegen den Schenkel. Unten schon zu lang, oben noch zu kurz, aber das wachse sich aus. Du hast ihre Hand weggewischt, doch sie ließ nicht ab, zerwühlte dir das Haar, was du schon immer verabscheut hast. Wie du ihn fändest? Sie musterte dich herausfordernd. Du hast die Schultern gezuckt, sie zog dich noch näher, zerrte die Zustimmung aus dir heraus, du sagtest: hOkay. Hokay?, wiederholte sie. Ob sie dir verraten solle, warum auch sie ihn hokay finde?
    Spätestens jetzt, Dion, hättest du wütend sein müssen, aufstehen und gehen, raus ins Moor, wie immer, wenn du dich von ihr verletzt fühltest, oder rüber zu Marianne, die wegen deiner Stotterei immerhin Mitleid empfand. Du hättest sie einfach sitzenlassen, Leck mich!, brummen sollen, irgendetwas in der Art, wie es Jungs in deinem Alter tun, wenn ihnen die Mutter auf den Sack geht.
    Sie hatte dich noch nie nachgeäfft, nicht einmal, wie alle anderen, ungeduldig oder betreten zur Seite geblickt, war ganz im Gegenteil, immer wenn du ein Wort nicht schafftest, schützend vor dir gestanden und hatte mit ihrem festen Blick und einem ermutigenden Nicken deine Lippen solange mitgesteuert, bis das Wort endlich herausgefallen war. Du hättest ihr alles verziehen; ihr Gespött über deinen in die Höhe schießenden Körper; den Kerl, mit dem du sie nun teilen musstest, sogar die Lüge mit der Familie. Doch dieser winzige Buchstabe, ein leichtfertiges, vollkommen unnötiges H vor dem okay , hatte dich an deiner schwächsten Stelle getroffen.
    Sicher hast du auch schon deine Erfahrungen mit der Liebe gesammelt, sie puffte dich in die Seite, fügte hinzu: seitdem deine alte Mutter dich nicht mehr kontrolliert. Du spürtest dich erröten. Was meinte sie damit? Wusste sie etwa von Hannes, der hellhörigen Wand zwischen euren Zimmern und der Ritze, die auch in deinem Gästebett schnell aufgesprungen war, tief verborgen darin der Cousin, den du in Gedanken berührt hast, wenn er drüben gegen den knarrenden Lattenrost anhustete, in immer kürzeren Abständen Husten Knarren Husten, bis es plötzlich still war und du dir in dem Moment, als ihr euch in deiner Phantasie fast gleichzeitig entleert habt, den Laut in der Kehle verbissen und dich zurück auf die Matratze gedreht hast, und auch drüben knarzte es ein letztes Mal, bevor alle heimlichen Geräusche in der Wand versickerten, die weiß und leer im Dämmerlicht schimmerte, mit dem in das Leuchten und die Leere gehängten Metallkreuz, das die verquälten, auf die feuchtglänzenden Geschlechter starrenden Blicke erlöste. Endlich goss sich doch noch der Schlaf über euch aus, der die Körper bald zurück in die Bettritzen zog, miteinander, ineinander, hustend und knarrend, was keiner mehr hörte.
    Nun sag schon, drängte sie. Wer es sei? Eine aus dem Dorf? Von dort sei noch nie etwas Gutes gekommen, und dassdu jetzt bloß nicht Kerstin sagen sollst, Kerstin, diese Göre, würde sie an ihrem Tisch nicht bewirten, keinem der Schweinebauern ihre Tür öffnen, mach nicht die gleichen Fehler wie ich, sagte sie und boxte dich, ein Schlag wie vom Elektrozaun an der Kuhweide, wo die Kinder oft stehen und sich gegenseitig an den Draht schubsen, gleichermaßen abgeschreckt wie angefixt von dem schmerzhaften Blitz.
    Ich find’s eh raus, schmollte sie, Mütter haben da den sechsten Sinn. In der Küche dunkelte es, nur im Fenster glühten die versprengten Schönwetterwölkchen wie ins Leere geworfene Kohlen. Im Zwielicht sah sie noch fremder aus, fetter, älter, wer war die Frau, die mit dem Motorrad gekommen war, diesen Röcker im Schlepptau, und dir nun eine Freundin anzudichten versuchte, die du nicht hattest, nicht haben wolltest; und selbst wenn du sie gehabt

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