Moor
Ferne schließt sich, unter den Erlen liegt der Teich trügerisch still, wie Marga ihn zuletzt gemalt hat. Das Bild ist das Einzige, was sie aus vierzehn Jahren Fenndorf gerettet hat, ein wildes Gemälde in Acryl, das manische Durcheinander feinster und winzigster roter Striche, eine Art Feuer, undurchdringbar selbst für dich, der auf ihren Werken doch meistens mehr gesehen hat, als ihr selbst recht war.
Es war eine Skizze vom Abfallhaufen der verworfenen Arbeiten, und wenn dir das Motiv nicht von irgendwoher schon bekannt vorgekommen wäre, nie hättest du darauf den Teich erkannt. Anfangs gab es nur einen schwarzen, hingeschmierten Zacken auf weißem Grund; du konntest dich erinnern, dass es das Letzte war, was sie im Herbst zustande gebracht hatte, bevor sie beschloss, mit allem Schluss zu machen. Jetzt aber malte sie wieder wie besessen daran. Mit dünnsten Pinseln, zuletzt sogar unter Verwendung einzelner, von ihrem Kopf ausgerissener Haare trug sie Schicht um Schicht auf, während die Bildmitte, der schwarze, am oberen Ende ausfransende Balken, immer gleich blieb, bis du darin den Erlenast wiedererkanntest.
Es war nur ein flüchtiger Blick, als du einmal in der Scheune ihre Sachen durchstöbert hast. Erst schwebte der Ast über den Farbstrudeln, dann, als du genauer hinsahst, versank er darin. Du konntest keine eindeutige Perspektive oder einen festen Standpunkt ausmachen, von dem aus sich das Bildhätte erschließen lassen; immer tiefer starrtest du dich in den Schlund der Linien hinein. Da blinzelte dich für den Bruchteil einer Sekunde ein Augenpaar an, schälten sich Mund, Kinn, ein dunkler Haarschopf heraus. Vor Schreck sackte dir der Rahmen aus der Hand, doch wie du die Leinwand danach auch gedreht und gewendet hast, dein Gesicht – ganz sicher, dachtest du, war es dein Spiegelbild gewesen – tauchte nicht mehr auf.
Du schaust zu der Stelle, wo einst der Ast ragte. Ohne die Erlenklaue erscheint dir der früher so magische Ort entzaubert. Der Novembersturm hat sie abgebrochen und versenkt. Wäre der Wind nicht so kalt und das Wasser nicht noch schwärzer als sonst, du würdest, denkst du, sogar nach ihr tauchen. Den Ast aus der Tiefe ziehen und wieder an seinen Platz zurückhängen. Die alte Zeit wieder einrichten, das zerstörte Teichbild reparieren. Aber glaubst du wirklich, Dion, dass ein totes, halbverfaultes Holz dir sagen kann, was du jetzt tun sollst?
Wahr ist, dass Marga seit ihrer Rückkehr nicht mehr mit dir zum Teich gegangen ist, weil sie keine Lust mehr auf den Kinderkram hatte. Sie war wieder ein halbes Jahr älter geworden und mit all dem Speck um die Hüften nicht gerade schöner; weder das Moorwasser noch dein kindlicher Blick haben sie jemals verjüngt. Ein einziges Mal ist sie noch hin, aber nicht dich hat sie mitgenommen.
Statt hinter der Schulbank hast du frühmorgens zwischen den Erlen gekauert, in der Hoffnung, bei dem schönen Wetter vielleicht schon eine Libellenschlupf beobachten zu können; der anhaltende Sonnenschein könnte den Prozess beschleunigt haben, wenn die Jungtiere, gelockt durch die steigende Wassertemperatur, den Lichteinfall und die Wirkungskräfte eines nie gänzlich gelüfteten Geheimnisses, den Schlamm verlassen. Nicht aber die Libellenlarven, nur deine Mutter hatten die sonnigen Tage übermütig und leichtsinnig gemacht. In Wahrheit, gib’s zu, waren dir die Insekten egal. Das gelbe, gallige Gefühl, die Eifersucht auf Daniel, hatte dich vom Schulweg weg- und in dein Versteck gelotst.
Sie war mit ihm über die Wiese gekommen, barfuß, wie gewohnt. Sie trug den Bademantel, schlampig geschnürt, er Jeans und Pullover, in der Hand die Basttasche, was dein Part gewesen wäre. Ihr Hennahaar lohte im Schein der tiefstehenden Sonne, sie drehte es zum Knäuel und bändigte es mit der Spange. Während sie umständlich ins Wasser stieg und auf zimperlich machte, saß er auf dem Baumstumpf, rauchte und feuerte sie an.
Du hast dich ins Gestrüpp geduckt, hinter Vorjahreslaub. Wie eh und je schwamm sie ihre Runde; vom Ufer zur Mündung des Drängrabens, der schon trocken lag; an den Wurzelstöcken entlang, wo die Sonne die Schatten aus den Höhlen scheuchte; dann auf dem Rücken und mit ausholenden Armschlägen zur Mitte des Teichs, die sie punktgenau fand, obwohl der Ast nicht mehr über ihr ragte und sie lenkte. Dort hielt sie wie immer inne und rief: Wenn du ein Mann sein willst, komm rein!
Du hast dich tiefer ins Gebüsch gekauert; hatte sie dich oder Daniel
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