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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Männerkleider aus. Wie dein Vater!, spottete sie zu dir herüber, als er in dem altmodischen Zeug am Tisch hockte. Zeig mir, dass du’s besser draufhast, rief sie ihm angriffslustig zu und nahm die Karte vom Talon.
    Er saß als Erster mit freiem Oberkörper da, während du immerhin noch das Unterhemd am Leib hattest und Marga, schwitzend unterm Fell, einen Trumpf nach dem anderen spielte. Ich krieg euch nackt, sagte sie, in ihren Augen funkelte der Kampfgeist. Oder war es bereits die Vorglut des Wahnsinns? Das könne sie auch schneller haben, fauchte der Kater und packte über den Tisch hinweg den falschen Zobel. Du hast auf die Einhaltung der Spielregeln bestanden, doch sie lieferten sich eine wüste Klamottenschlacht und zogen am Ende ab, sie mit dem Pelzschwanz als Peitsche in der Hand, er schnurrte um ihre Beine. Müde von einer halben Flasche Bier, die Marga dir genehmigt hatte, gingst du zu Bett, konntest aber lange nicht einschlafen, wegen des Katzengejammers im Nebenzimmer, das du für das blaue Familiengefühl mit den Fäusten auf den Ohren in Kauf nahmst.
    ◆◆
    Wach auf, Junge!, reiße ich dich aus solch verzuckerten Erinnerungen. Was hat diese Kifferei und Fickerei mit Familie zu tun? Die fette Suppe am Tisch der Lamberts hätte dir besser getan, dich nicht nur mit Kalorien, sondern auch mit dem gemästet, was die sogenannte Familie tatsächlich wertvoll macht. Doch Beständigkeit und rückhaltlose Liebe hat es an Margas Tisch noch nie gegeben, wo ein gelungener Allestopf das höchste der Gefühle war.
    Der Helikopter kommt zurück, die leere Löschwanne am Seil. Doch statt auf der Wiese zu landen, dreht er ab. Sie haben kapituliert, brülle ich dir zu, überlassen dich den Flammen! Du springst auf, und tatsächlich: Jetzt, stehend, siehst du am Horizont den Rauchpilz. Er wuchert in weiter Ferne aus der Ebene und zerfranst zu Schwaden, die langsam zur Sonne aufsteigen.
    Im Bürgermeisterhaus tagt der Gemeinderat. Es hänge, so die Spezialisten der Feuerwehr, nun alles von der Windrichtung ab. Rahse liegt geschützt an den Mäandern der Jumme, Fenndorf aber trennen von der nahenden Feuerfront nur ein paar schmale, eilig geflutete Gräben, über die jeder Funke hinwegspringt. Noch zögern sie. Hoffen, den Brand vor dem angekündigten Wetterumschwung in den Griff zu bekommen. Doch was kümmern mich ihre Einsatzpläne, der Katastrophenschutz. Wie der Wintersturm, der dasHaus zerlegte, bin auch ich Teil des Plans, dem du dich fügen wirst, ob du willst oder nicht; Dion, hau endlich ab! Es gibt kein Zurück mehr. Wenn der Boden ausgelaugt ist und der Torf endgültig nichts mehr hergibt, zünde ich ihn an und vernichte binnen Stunden, was über Jahrhunderte entstanden ist; nichts ist fruchtbarer als ein abgebranntes Moor. In der nährstoffreichen Schlacke wird das Pfeifengras als Erstes wieder austreiben. Die Kriechsprosse des Adlerfarns in den tieferen Schichten haben dem Oberflächenfeuer getrotzt, kleine, harte Spitzen bohren sich nach wenigen Tagen durch die Asche. Ein Schwarzkehlchen brütet auf einem Nachgelege. In den Schlenken vermehren sich Algen, ein Stockentenpaar, von der Jumme herübergekommen, durchseiht mit den Schnäbeln das Wasser. Kaninchen rupfen im abgefackelten Birkenwald frischen Klee. Die Ebene ist nach dem Brand artenreich und grüner, als sie sein darf.
    Deine Mutter habe ich vorausgeschickt und in Sicherheit gebracht, nach Hamburg; als du heute Morgen aufgestanden bist, war sie schon weg. Sie hat nur das Bild mitgenommen, an dem sie in den letzten Tagen ununterbrochen gearbeitet hat, ein Meisterwerk, davon ist sie auch dieses Mal überzeugt. Unter uns gesagt, Dion, es ist nichts wert. Noch heute wird sie endgültig kapieren, dass sie zur Künstlerin ebenso wenig taugt wie zur Mutter. Ja, Dion, sie hat deine Kindheit verkauft, für fünfzehntausend Mark, die Karl Lambert ihr anzahlte, nachdem sie beim Notar Haus und Grund auf ihn übertragen hatte.
    Sei nicht schockiert, nimm’s ihr nicht krumm, schau zum Horizont, weit und breit nichts als Asche und Tod. Wenn du bleibst, wird’s bald zappenduster. Schluck den Schmerz über den Schnitt durch die Zeit, heul von mir aus um das,was du, kaum verloren, Heimat nennen wirst, die eh nichts wert ist, wenn man nie wiederkehrt. Mach dir Luft, schreib dein Buch, bevor du an alldem noch erstickst. Was kümmert mich die Kunst.
    Als der Lärm des Hubschraubers verhallt ist, sinkst du erschöpft zurück auf den Stumpf. Der wüste Ausblick in die

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