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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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deine Züge legte. Der, den ich dir vor dem leeren Dunkel der Ebene zeigte, war fast schon kein Kind mehr.
    ◆◆
    Wie immer kein Parkplatz vor der Galerie. Ein paar Straßen weiter rangiert sie den Wagen in eine Lücke, der Motor verröchelt mit einem Geräusch, als wäre das nun sein letzter Atemzug gewesen. Ich kann mich nicht einmal um ein Auto kümmern, denkt sie und zwängt sich ins Freie, wie soll ich es da mit einem Kind schaffen; sie öffnet den Kofferraum und starrt ratlos hinein. Das sparsam mit dunkler Farbe nachgetuschte Bild, das sie gestern doch noch fertiggestellt hat, von dem schlafenden Jungen, der sich in eine Libelle verwandelt, liegt ganz oben auf dem Stapel.
    Sie schaut auf die Uhr, noch knapp zwei Stunden, das müsste reichen, Ute, ihre Galeristin, davon zu überzeugen, dass es das Beste ist, was sie seit langem zustande gebracht hat. Danach muss sie ohne Umwege ins Modehaus, wo zur Mittagszeit oft mehr Betrieb herrscht als am Abend, der den Familien der Kunden gehört, dem Stammtisch oder Sportverein. Um zwölf kommt Schiereisen, der Wiener Handelsvertreter, und lässt sich die maßgeschneiderte Unterwäsche abstecken, au weh, gib doch Obacht, du Trutscherl, seufzt er wohlig, oh, bitte verzeihen Sie, Herr Schiereisen, dann schaut sie weg und sticht die Nadel tiefer, weil er bereits zu stöhnen beginnt. Danach, sie hat kaum Zeit, sich die Hände zu waschen, die Bosse von der Hansawerft, mit Herrn Nikaido, dem japanischen Turbinenbauer, der sich davor und danach höflich verbeugt und in Dollar bezahlt, wofür Siana das Außerordentlichste auffährt, was der Laden zu bieten hat. Das darf sie nicht auch noch vermasseln, hat schon Kaltenbronn versetzt, der in seiner Sitzecke bestimmt schon die Zeitung zusammengeschlagen und sich verabschiedet hat, während Siana ihn vermutlich aufzuhalten versuchte und ihm ein anderes Mädchen empfahl: Ach, lassen Sie nur, Frollein Siana, das nächste Mal wieder, und die Chefin, die ja nun wahrlich kein Fräulein mehr ist, knirscht mit den schlechten Zähnen, wegen ihr, Marga, ihrer mittlerweile ältesten Angestellten, ist ihr erneut ein Geschäft durch die Lappen gegangen. Siana wird ihr wieder mit dem Rausschmiss drohen, soll sie doch, denkt sie, der Job hängt ihr wie ein Klotz am Bein, kettet und kotzt sie an, sie hasst ihn, wie sie ihn braucht, ekelt sich am Mittwochabend vor sich selbst und spürt dienstags drauf doch wieder diesen Drang; und die Forderungen, die sie in den letzten Jahren an Siana gestellt hat, sind auch nicht gerade ohne, private Krankenversicherung für den Jungen, höhere Umsatzbeteiligung, selbstbestimmte Arbeitszeiten, doch all das kann ja kaum den Schuldenberg tilgen, der wächst und wuchert, mit diesem baufälligen Haus, das in Schuss gehalten werden will, einem kostspieligen – so spottet Siana – Hobby, dem Malen, und einem Sohn, dem sie bald ein Studium wird finanzieren müssen, wenn er nicht am Fließband von Nordfrost enden soll oder bei den Lambert’schen Schweinen. Doch woher das Geld nehmen, ohne das Modehaus, ohne vorzeigbare Berufsausbildung, das hat sie gestern auf der Behörde deutlich zu spüren bekommen.
    Die vom Amt war eine Beißzange gewesen. Die blassen Typen in ihren Jacketts, die sie durch offen stehende Türen hinter die Tische geduckt sah, während sie den Schnipsel mit der Wartenummer auf Fingernagelgröße faltete, hätte sie zu nehmen gewusst, ein Typ Mann, den sie gut kennt, umdie vierzig, verheiratet, zwei Kinder, taucht ab und an bei Siana auf, hat Sonderwünsche, macht auf Dandy, obwohl im Herzen knickerig, die Kinder tragen auch mal was Guterhaltenes von der Diakonie, wo die Gattin ehrenamtlich und so weiter. Gegen den Drachen aber, der sie empfing, als die mechanische Zähluhr an der Wand endlich auf ihre Nummer sprang, hatte sie von Anfang an keine Chance.
    Suchen Sie etwas Bestimmtes ?, fragte die Beamtin und musterte sie von Kopf bis Fuß. Etwas Einfaches, erwiderte Marga und biss sich auf die Unterlippe, falsche Antwort, sie verkaufte sich unter Wert. Eine überschaubare, zeitlich begrenzte Arbeit, verbesserte sie sich und schlug die Beine übereinander, sie sei alleinerziehende Mutter. Die Angestellte überflog mit den Augen ihren Personalausweis, für die Region Zeeve sei sie nicht zuständig, und sie schob das Dokument über den Tisch, der Fall schien damit für sie erledigt. Marga triumphierte. Mit dem Wort Mutter hatte sie ihr den ersten Stich versetzt, gleich in die Brust, an der noch nie

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