Moor
oder Schwanzspitze, die sich bei der Libelle dort, wo die Greifzange sitzt, knorpelartig verdickt, und auf ihrem Bild an ein grinsendes Maul erinnerte, das geile Grinsen des Alptraums, der den schutzlosen Jungen beschläft, drüben im Gerümpel, wo du plötzlich die Augen aufschlugst.
Ob sie schon eine Wohnadresse habe, fragte die Beamtin und zückte den Stift. Susannenstraße, log Marga und sah, wie die Frau eine Augenbraue hoch und den Mundwinkel nach unten zog. Jetzt, dachte sie, hat sie die Spur aufgenommen, wittert Ehebruch und in ihr die Abtrünnige, die vom Land in eine Kommune in Hamburgs Lotterviertel flüchtet. In welcher Branche sie bisher tätig gewesen sei? Herrenmode, erwiderte Marga. Als Schneiderin? Sie zögerte einen Augenblick. Beratung, sagte sie dann, Verkauf. Die Angestellte nickte und blätterte in ihren Akten. Nein, fuhr Marga dazwischen, nichts dergleichen mehr! Sie suche etwas gänzlich Neues.
Frau Gabriele Holst, so hatte es auf dem Türschild gestanden, schnaufte erschöpft. Der Name kam ihr bekannt vor; ein Herr Holst, Friedrich Holst, war eine Zeitlang Stammkunde im Modehaus gewesen, ein gepflegter, stets ein wenig bekümmert wirkender Herr, der es immer sehr eilig hatte. Doch das, dachte sie, wäre nun wirklich Zufall, Holst war ein in Hamburg geläufiger Name.
Die Arbeitsvermittlerin erkundigte sich nach ihrer Ausbildung. Marga zuckte die Achseln. Ohne Abschluss, gab die andere zurück, sei das, was sie anbieten könnte, leider recht beschränkt, Gebäudereinigung, Nachtwache –
Ich bin Malerin, sagte Marga.
Die strenge Amtsmiene zerbröselte. Anstreicher? Lackierer? Als Frau?
Marga sank im Stuhl zusammen. Jeglicher Kampfgeist hatte sie verlassen. Wo sie eben noch Lust verspürt hatte, diese Büroschranze zu provozieren, machten sich Erschöpfung und Leere breit. Das Gespräch war gelaufen, ab jetzt würde es nur noch schlimmer werden. Sie wäre nun gezwungen, zu erklären, was sie den ganzen Tag in der Scheune treibt, würde, um Worte ringend, eine Tätigkeit beschreiben, die sie seit über einem Jahrzehnt ausübt, ohne sie im Geringsten zu beherrschen, stammelnd einen Beruf erklären, den sie selbst eher als Zwang und Obsession empfindet, nicht einmal mit Leidenschaft und Verve, eher zermürbend wie eine chronische Krankheit. Frau Holst würde nach Erfolgen, Stipendien und Ausstellungen fragen und ihren Bleistift in die Bruchstellen ihrer Biografie bohren. Bei Siana, dachte sie, hatte sie noch nie ihre Würde verloren, in fünfzehn Jahren Anstellung kein einziges Mal, von der ersten Begegnung mit Miklos, dem eigentlichen Boss des Ladens, einmal abgesehen, und jetzt ein Besuch auf der Stellenbehörde, in der Welt deutscher Ordnung und Tugend, erniedrigend, entblößend, ein Hurengang.
Sie stand auf und strich ihr Kostüm glatt. Lass dir nichts anmerken, dachte sie, einfach weitergehen, lächeln, wie sie es einst bei Siana gelernt hatte, in dem großen Spiegel des Hinterzimmers, vor den die Herrenausstatterin sie geschoben hatte. Schau dich an, sagte die Chefin mit ihrem Reibeisenakzent, über dessen Ursprung sie auch heute noch beharrlich schweigt, schau dich genau an, Mädchen, und wenn dir gefällt, was du siehst, dann lächle – und sie, Marga, hatte ihre Mundwinkel hochgequält –, nicht mich, dich sollst duanlächeln, herrschte Siana sie an und quetschte mit den spitzgefeilten Nägeln von Daumen und Zeigefinger die Kinnlade. Dein Lächeln, fuhr sie fort, legt alles fest, wenn du lächelst – und sie stach ihr die Nägel in die Haut –, hast du den Kunden schon in der Tasche, einfach lächeln, sagte sie, und das Geschäft ist bereits gelaufen. Doch das Wichtigste sei – und sie bohrte ihr die Finger noch tiefer, so dass nun wie von selbst der Mund aufklappte –, die große Herausforderung ist, liebes Mädchen, dass du den Kerl in diesem Moment dazu bringst, sich seine Investition selbst zu verzeihen. Habe sie das geschafft, würde er weich wie Butter, du schmierst ihn dir einfach aufs Brot, flüsterte die Chefin, und er kommt jede Woche wieder.
Siana ließ abrupt ihre Wangen los, wo zwei schmerzhafte Kerben zurückblieben, die sich langsam rot färbten. Der Rest, sagte sie und betrachtete ihre Finger, als suchte sie dort Schmutzspuren, ist Routine und Training, aber das Lächeln, das kann man nicht lernen, nicht einmal bei mir, und sie strich ihr übers Haar. Solch ein Talent sei eine Gabe, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu und deutete in den Spiegel, wo der
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