Moor
zuflüstert, was sie denkt und fühlt, und sie steckt die Nase in den Kragen ihres Kleides und riecht trotz des Schaumbades, das sie am Morgen genommen hat, auf ihrer Haut einen Hauch vom eisensauren Wasser des Teiches, ihren von Kaltenbronn so geschätzten Landduft, das Moor.
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Am Schultor war die Wasserwand über dir zusammengebrochen, eine Woge der Erleichterung, die dich weg vom Klassenzimmer und die Dorfstraße hinunter zum Heidedamm spülte, wo der Fußpfad beginnt, auf dem früher die Torfstecher die Karren schoben, heute aber höchstens noch ein Vogelkundler oder ein verirrter Tourist wandert, der wahnsinnig genug ist, sich allein auf den ungesicherten Weg zu wagen, der hinter den Ställen von Lamberts Hof abzweigt,eine Weile dem Lauf eines Drängrabens folgt, aus dem die Spiegelbilder der verkrüppelten Kopfweiden heraufstarren, dann den Teich mit seinem Erlenhain linker Hand liegen lässt, über vier lose aneinandergelegte Planken den dunklen Bach quert, der aus den Torfrippen des ehemaligen Stichs hervorsickert, sich kurz im Gagelgebüsch verliert und zwischen den Wollgrasfeldern, wo es kaum mehr ein Baum, nur noch hartes Gesträuch und die ein oder andere zähe Birke in die Höhe schaffen, seinen unentschlossenen Vorstoß in das versteppte Gelände endgültig aufgibt.
Dort hast du dich umgedreht, halb erleichtert, halb erschrocken; das Dorf, nur wenige hundert Meter entfernt, war bereits im Regendunst versunken, der Blick zurück nach Hause gleich dem in die Ferne, hüben wie drüben ein weißes, wallendes Nichts. Kurz hast du überlegt, umzukehren, doch der Trotz trieb dich weiter auf den Schwingrasen hinaus. In einer Furche brachst du ein und hast die Augen hochgerissen, hinüber zum Haus, der einzigen Kontur, die sich noch vor dem aufgelösten Himmel abzeichnete. Der Wagen stand in der Einfahrt, vor der Scheune, die von hier aus gesehen schon im Binsengestrüpp versank. Noch hättest du sie an der Tür abfangen können, doch sie würde, dachtest du, ohnehin keine Zeit für dich haben, nichts von dem verweigerten Referat wissen wollen, der Sechs, die Gorbach nun in sein Notenbuch eintragen wird. Dabei hätte sie nur im Sekretariat anrufen müssen, um dich krankzumelden, eine Kleinigkeit, und Tanja, so hattest du ihren Blick vor der Klassenzimmertür gedeutet, würde schon dichthalten.
Aber wie hättest du es ihr sagen wollen, in deiner Ecke, wo du sie stumm beobachtest, wie sie von der Küche ins Bad und vom Bad zur Haustür stolpert, in der einen Hand ihre Pumps, die Zahnbürste in der anderen, und hätte sie eine dritte, sie schöbe dich genervt aus dem Weg, nicht jetzt, Liebling, ich muss wirklich los. Noch bevor dir der erste Laut über die Lippen kommt, ist die Haustür zugefallen.
Schon in der Nacht zuvor bist du, schlaflos und gequält von den Gedanken an die bevorstehende Referat-Blamage, um ihr Bett herumgeschlichen, wo aber nicht sie, Marga, sondern nur ihr hingefetztes rotes Kleid lag, daneben die Schachtel Lexotax, die sie immer dann aus dem Nachttisch zieht, wenn etwas nicht stimmt. Du hast das Kleid aufgehoben, die Nase hineingedrückt und dir dabei vorgestellt, wie sie, womöglich in Begleitung irgendeines Kerls, durch die Stadt streift, in verrauchten Lokalen tanzt und keinen Gedanken an dich verschwendet, ja sogar erleichtert ist, dich endlich für ein paar Stunden los zu sein. Hast dann das Kleid und den Slip, der sich darunter versteckte, in die Ecke gefeuert, beides jedoch wieder zurückgeholt und trotz des Ekels, der dich plötzlich schüttelte, an der Unterhose geschnuppert, die nach ihrem Badeöl roch. Die Sachen ließen sich nur schwer wieder so auf dem Bett drapieren, dass sie nichts merken würde. Eine Weile hast du hilflos herumgestanden und dem Aufruhr in deinem Innern gelauscht, der dich in alle Richtungen zerrte, der Brand in der Kehle runter zum Kühlschrank, die Müdigkeit zurück ins Bett, doch da war plötzlich die Stotterangst und stieß dich zurück.
Schließlich hast du eine Pille aus dem Blister in die Hand gedrückt, in diesem Patt der Gefühle schien es dir der einzig noch mögliche Weg zu ihr hin. Als du schlucktest, war dir, als ließe der Druck in deinem Leib bereits nach. Du hast zum Fenster geblickt und dir vorgestellt, wie sie dich von der Scheune aus beobachtet, und die Bestürzung in ihrem Gesicht löste dich aus dem Krampf. Im Spiegel der Scheibe sahst du dein Gesicht vor dem trüben Schein der Nachttischlampe, die harte Schattenkanten auf
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