Moor
Kleid gekauft, obwohl der Junge sie bei der Arbeit glaubte, im Stoff, das hatte sie erst beim Ausziehen bemerkt, hing noch der Zigarrenrauch des Amerikaners, der zum ersten Mal ins Modehaus gekommen war und nicht so recht gewusst hatte, was er wollte, sich dieses und jenes von ihr zeigen ließ, bis weit nach fünf Uhr. Sie dreht den Zündschlüssel bis zum Anschlag und jagt den Motor hoch, bitte nicht schlappmachen jetzt, sonst kann ich den Job endgültig vergessen, der letzte Bus zurück geht um sechs, und ab Rhase müsste sie laufen, im Dunkeln querfeldein durch das Moor.
Sie riechen ja wieder so frisch, Frollein Marga, pflegt Kaltenbronn zu sagen, wenn sie sich über ihn beugt, das Landleben, lacht sie zurück, doch frisch ist es ja nun weiß Gott nicht, ihr Fristen und Frusten in Fenndorf, seitdem ihrMann, dein Vater, Dion, sie vor vierzehn Jahren in dieses Kaff verschleppt hat, ein Gefängnis aus roten Klinkermauern und Schweineställen. Jeden Morgen führt sie dich zum Torfstich wie andere Witwen ihre Kinder ans Grab, beißt die Zähne zusammen, springt ins kalte Wasser und spielt die trauernde Mutter. Wahr ist, dass ihr der Hausarzt gegen ihre Anfälligkeit für Hautpilz Moorwasserbäder empfohlen hat, wegen des hohen Säuregehalts. Also steigt sie so oft wie möglich und nicht ohne Widerwillen in die braune Brühe, wo einst dein Vater ums Leben kam. Beim Schwimmen, behauptet sie, fühle sie sich ihm wieder nahe, sei dort für ein paar Minuten noch einmal das Mädchen von damals, kaum zwanzig und schwanger von einem Mann, in den sie, was du nicht wissen sollst, kaum verliebt war, eher hatte sie mit den Versprechungen geliebäugelt, die er ihr machte, von einem Leben in Wohlstand, in dem sie sich ganz auf ihre Arbeit, das Malen, konzentrieren könnte, also hat sie all ihre Talente in ihn hineingeäugt und seine Familie dafür in Kauf genommen, den Schweinezüchterclan, den sie schon damals verachtete, allen voran Marianne, deine Tante, die es als junge Frau einst auf deinen Vater abgesehen hatte, bis sie dann, weil es beschlossene Sache war, seinen älteren Bruder Karl heiratete, und trotzdem, erinnert sie sich, war ihre Nebenbuhlerin noch monatelang um das Haus geschlichen, hatte hier etwas im Garten gepflanzt, dort ein paar Sachen aus der Scheune geräumt oder abends geklopft, um das frischgebackene Brot zu bringen, das er, dein Vater, angeblich so gerne aß, sicher habe sie, Marga, in der Hausarbeit noch wenig Erfahrung, und sie steckte ihr das Rezept zu, während sie die Küche inspizierte und Vorschläge für die Einrichtung der Zimmer machte, die vom Junggesellenleben verwahrlost waren.
Wenn sie sich bei ihrem Mann über die Aufdringlichkeit beklagte, verteidigte er die Schwägerin, die auch ihre guten Seiten habe. Derartige, höhnte deine Mutter und quetschte sich den Busen, an den er sich, seitdem sie schwanger war, nur noch selten schmiegte, zum Glück. Mit deinem keimenden Körperchen in ihrem Bauch hielt sie sich den Bauern erfolgreich vom Leib. Sei ein wenig dankbar, wies der sie zurecht. Sie hätte ihm Marianne, denkt sie heute, sogar für eine Nacht geborgt, um ihre Ruhe vor beiden zu haben. Doch Andeutungen in diese Richtung verschärften sein plötzliches Misstrauen, wie man überhaupt über sie, Marga, die Neue im Dorf, zu reden begann, zotiges Gewitzel im Dorfkrug, erinnert sie sich, dem Dions Vater nichts entgegensetzen konnte oder wollte.
Sie sagt und denkt stets Dions Vater , der Begriff macht ihn zu einer Unperson, keinem Unmenschen zwar, und doch ist er heute für sie nicht mehr als der Erzeuger ihres Sohnes, ein Mann, der geglaubt hatte, er könnte sie mit einem alten Bauernhaus und dem Kind, das in ihrem Bauch heranwuchs, glücklich machen. Seine Torfgeschäfte hatte sie von Anfang an verabscheut, der Buchhaltung wegen, die sie übernehmen sollte. Das Schreiben einer einfachen Rechnung hatte sie viertel und halbe Stunden des Ringens und Verzweifelns gekostet. Mit den Zahlen, den Lieferbeträgen und Gewinnsummen, hätte sie es aufnehmen können, aber Briefe, Mahnungen, Korrespondenzen verfassen, das wäre ohnehin bald das Ende dieser Ehe gewesen. Irgendwann hätte sie ihm die ganze Wahrheit sagen müssen, über die sie auch heute noch ungern spricht, da kam ihr sein plötzlicher Tod gerade recht.
Im Dorf kennen alle die Geschichte vom Unfall in der Torfgrube, und jeder erzählt sie anders, abhängig von Sympathie oder Groll gegenüber dem Verstorbenen und der Anzahl derSchnäpse im
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