Moor
ein Kind eingeschlafen war, das hatte sie der Frau gleich angesehen, die auch in Beige gekleidet war.
Ich suche etwas in Hamburg. Marga beugte sich vor und sah, wie die Augen hinter den Brillengläsern sich verengten. Sobald sie mit ihrem Sohn umgezogen sei, fügte sie hinzu, die Angestellte rutschte mit dem Sessel ein Stück zurück, so dass der gebotene Abstand nun wieder gewahrt war.
Den Entschluss hatte sie in den letzten Tagen gefasst, als die Arbeit im Atelier wieder stockte. Das neue Leben, zu dem sie sich nun bereit fühlte, hatte ihr plötzlich ganz deutlich vor Augen gestanden, war wie eines jener vollkommenen Kopfbilder gewesen, die sich erst auf dem Papier als stümperhaft erweisen. Die Wohnung, die sie würde kaufen können, wennsie Haus und Grundstück der Familie ihres Schwagers und seinen Schweinen überlässt, läge in der Susannenstraße, mitten im Stadtteil der Studenten, Künstler und Hausbesetzer, wo sie schon damals, im letzten Heimjahr, während des Sonntagsausgangs in einem der Straßencafés gesessen und die jungen Menschen beobachtet hatte, die ihr frei und lebenshungrig erschienen waren. Die Anstellung – so hatte das Bild in ihrem Kopf Gestalt angenommen –, die sie heute auf dem Amt fände, würde ihr genug Zeit für die Malerei lassen, ihr trotzdem das Auskommen sichern, dem Jungen außerdem später einen Platz an der Universität.
Sie hatte sich dabei ertappt, wie du in dieser Phantasie abends, wenn sie vom Atelier zurückkommt, neben ihr auf dem Bett liegst und von deinem Tag erzählst. Sie lauscht deinen Witzen über die Professoren, während du ihre neuerdings glatten und gesunden Lippen betrachtest. Das Haar trägst du schulterlang, wie es heute bei den Studenten Mode ist. Darunter wölben sich die Muskeln an den Armen, die du beim Unisport stählst, und in der Schlüsselbeinmulde sprießt, wie damals bei deinem Vater, das dunkle Haar. Sie selbst aber – und bei dem Gedanken war sie zusammengezuckt – ist auf diesem Bild noch immer die Einunddreißigjährige; die Mädchen an der Uni, sagt sie und öffnet dir den Kragenknopf, gefallen sie dir? Du grinst und rückst näher, sie riecht Zigaretten, Nachmittagsbier, ja, sagst du und beugst dich über sie, aber noch besser die Jungs. Soll mir recht sein, lacht sie und dreht dir den Mund hin.
Wie alt ihr Sohn sei, wollte die Beamtin wissen. Eine dicke Schicht Puder auf ihrem Gesicht ließ die Züge maskenhaft wirken. Jetzt war es Marga, die zurückwich, voll Abscheu vor dieser Spießerin, die vielleicht ahnt, so dachte sie, dass sieselbst noch fast ein Kind war, als ihr Junge zur Welt kam. Er ist dreizehn, erwiderte sie, die andere lächelte sauertöpfisch.
Auf dem Porträt, das dich während der Verwandlung in die Libelle zeigt, hatte sie dich ohne erkennbares Alter gezeichnet, weder als Kind noch als Mann, im Zwischenzustand eines diffusen Lichts, in das ihre Augen plötzlich eingetaucht waren, als es im Fenster zu dunkeln begonnen hatte. Staub und Schatten über dem Spiegelbild in der Scheibe verwischten die charakteristischen Merkmale deiner Züge, auf der planen, nur vage umrissenen Fläche deines Körpers schienen ihr nun alle Denkarten für ihr Bild möglich.
Erst jetzt sah sie, dass du in deiner Ecke eingeschlafen warst. Sie stand auf, ging hinüber und begann, dich mit behutsamen Griffen in Pose zu biegen, wobei sie sich an ein Gemälde erinnerte, das sie vor langer Zeit in einem Katalog entdeckt hatte: Der Nachtmahr von Johann Heinrich Füssli, wo sich ein schlafendes Mädchen dem Alptraum, der es heimsucht, einem affenartigen, auf seiner Brust hockenden Gnom, lustvoll und mit leicht gespreizten Schenkeln hingibt. Das unheimliche Wesen wendet dem Betrachter das Gesicht zu und glotzt ihn an, und jeder weiß, was dem Mädchen in seinem Traum gerade widerfährt. Du aber, stellte sie sich vor, solltest auf ihrem Bild, das sie nun ganz deutlich vor sich sah, von einer Libelle träumen, die zum Paarungsakt dem Partner ihren Hinterleib entgegenreckt, so nämlich hattest du es ihr an einem Sommermorgen einmal am Teich erklärt, als ein ineinander verhaktes Libellenpaar über das Wasser getrudelt war.
Du hast etwas im Schlaf gemurmelt, sie hielt den Atem an, blickte dir eine Weile ins Gesicht, kehrte dann leise an den Zeichentisch zurück und schaute erst vom Blatt auf, als sich auf dem Papier ein praller, schuppiger Phallus aus deinemSchoß emporreckte, halb Insektenleib, halb männliches Glied, mit einer Kerbe auf der Eichel
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