Moor
ihre Bücher. Früher war ich das unzähmbare Monster vor ihren Türen, heute bin ich ihr kostspieliges Museum, am Parkplatz steht eine Spendenurne, zum Erhalt der Wege und zur Unterstützung des Naturschutzvereins, das Infoblättchen ist gratis.
Du schlägst um dich, trittst nach mir aus, kämpfst gegen die Vereinnahmung an, erbittert, wie du dich auch damals, an jenem Abend der Kunstpreisverleihung, gegen Marga gewehrt und dir den Kinderanzug vom Leib gerissen hast, wolltest dir dort die Mutter, willst dir hier den Moorspuk vom Hals schaffen, das Schauermärchen vom Versinken und Ertrinken, in das du dich heillos verirrt hast, doch Marga kam nicht raus aus dem Klo, ließ dich halbnackt und den mitleidigen Blicken der pinkelnden Männer ausgesetzt vor der Kabine stehen. Aus diesem Alptraum, Dion, gibt es kein Entrinnen, also halt still, hör auf zu heulen, jetzt bist du tief unten bei mir, dein fast schon vergessener Körper, bald nur mehr formbare Erinnerung aus dunklen Farben, alter Angst und halbbewussten Gedanken wie auf dem lobend erwähnten Gemälde deiner Mutter, dem düsteren Bild einer Fehl-oder Totgeburt, das sie damals in Fenndorf, erinnerte sie sich nun wieder, während sie abermals deine Fäuste auf die Kabinentür einschlagen hörte, tatsächlich fast verkauft hätte, wohingegen sich hier, in der Stiftung, wo die Sammler und Galeristen der Stadt zusammengekommen waren, niemand für ihr Werk zu interessieren schien.
Ein Holländer hatte einen hohen Preis dafür geboten, ausgerechnet einer der Touristen, die in den Wochen nach dem Moorleichenfund um das Haus am Heidedamm geschlichen waren und neugierige Blicke in ihre Werkstatt geworfen hatten. Die Schaulustigen kamen aus dem nahen und fernen Umland und sogar mit Bussen über die Grenze. Sie pilgerten auf dem zugewucherten Gleis, wo einst die Loren fuhren, zu den Gruben im Stich, glotzten ein paar Sekunden lang enttäuscht in das Grab, das von den Baggern der Torfarbeiter längst schon zerwühlt worden war, und irrten dann ziellos durch das Dorf, direkt in die Fänge von Ilse Bloch, der die Moorleiche in diesen Tagen nicht nur das Geschäft, sondern auch die Sternstunde ihres Lebens bescherte, wenn sie ihre Geschichten zum Besten gab, in denen es von Mooropfern plötzlich nur so wimmelte, und die Besucher schaudernd an ihren Lippen hingen, während sie Erfrischungsgetränke und Provianttüten zu erhöhten Preisen über die Ladentheke schob, zusammen mit einer Landkarte der Umgebung, auf der sie die Stellen markierte, wo sie noch andere Ahnen der Dorffamilien ertränkt und versenkt glaubte.
Auch der Holländer war einer von denen gewesen, die vom Moorgrausen nicht genug bekommen konnten. Er war plötzlich in der Scheune gestanden und hatte mit gierigen Augen das Bild betrachtet, an dem sie seit Tagen pinselte, meist nachts oder sobald sie ihren Mann in der Torfgrubewusste. Der Tourist – ein schlaksiger Typ in Wanderschuhen und Regenjacke – hatte auf Englisch um das unfertige Gemälde gefeilscht und ihr schließlich ein Bündel Scheine auf den Tisch geblättert, als plötzlich dein Vater durch die Tür getreten war. Was sie da mache?, fuhr er sie an und musterte den Fremden. Ich arbeite, erwiderte deine Mutter. Ich verdiene für uns, rief er, fegte das Geld vom Tisch und trat es in den Schmutz. Sein Kind, rief er und zeigte auf ihren Bauch, werde von sauberem Geld leben! Dirty money, blaffte er den Holländer an. Der bückte sich, kratzte die Scheine vom Boden, reichte sie deinem Vater und stammelte: No, no, it’s not fake. It’s from the exchange office. Sie drehte sich weg und kritzelte weiter an ihrem Bild. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich im Gesicht ihres Mannes die ebenmäßigen Züge, die sie einmal, als sie noch nicht in die Öde dahinter blicken konnte, begehrenswert gefunden hatte, zur Fratze verzerrten. Er packte sie am Arm und zerrte sie vom Hocker. Was das werden solle?, knurrte er und deutete auf das Gemälde. Dann wirbelte er sie herum und stieß sie zur Tür. Du Monster!, rief er, er habe sein Kind in ein Monster hineingepflanzt, sie erinnert sich, wie er, Dions Vater, selbst in seinem Zorn noch vom Pflanzen und Säen sprach, der Bauer. Der Holländer glotzte, faltete seine Landkarte auseinander und sagte: Yes, monster! Show me, where! Da hatte dein Vater aufgeheult und beide, das Monster und den Monsterjäger, aus dem Scheunentor gestoßen, das in den folgenden Tagen von einem schweren Vorhängeschloss versperrt gewesen
Weitere Kostenlose Bücher