Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
Vom Netzwerk:
eigenes Werk. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie im Gesicht der Frau eine Braue zuckte, sonst verriet ihre Mimik keinerlei Urteil. Im Rücken spürte sie deine Augen, oder war es Röckers geringschätziger Blick, der jetzt mit einer anderen jungen Frau an der Bar lehnte, sie glaubte alle Augen der herumstehenden Leute auf sich gerichtet, als die Galeristin sich vorbeugte, eine der gespachtelten Stellen genauer betrachtete und schließlich sagte: Nicht schlecht.
    Von der anderen Seite spürte sie deinen Blick, bockig, empört, fast ein wenig spöttisch, der gleiche Ausdruck wie an dem Tag, als sie am Bild die letzten Korrekturen vorgenommen hatte und du plötzlich hinter ihr standst, mit geschlitzten Augen und nach unten gezogenen Mundwinkeln. Was siehst du darauf?, hatte sie dich gefragt, abwehrend, schon in Erwartung einer verletzenden Antwort. Du hast die Schultern gezuckt, obwohl du sehr viel und sogar mehr, als dir lieb war, auf der Leinwand erkannt hast. Das blutig-schmierige Gemisch erzeugte einen Zustand der Enge in deiner Brust, ließ dein Herz schneller schlagen und eine Hitzewand wie Fieber in dir aufsteigen. Du gabst dem Gefühl die Farbe Braun, denn Moor- oder Colabraun war, unter all den schmutzigen Umbratönen, die einzige Farbe auf dem Bild, die in das Gewirr eine Art Licht flocht, wie in den Tümpeln, wenn ein Sonnenstrahl in die Tiefe dringt und das Wasser bernsteinfarben färbt, so dass du dort, wo die Schichten weggekratzt oder mit dem Drahtschwamm abgeschliffen waren, eine zarte, pergamentartige, stellenweise fast durchsichtige Struktur entdecktest, die dich an die vertrockneten Häute der Libellenschlupfhüllen aus deiner Sammlung erinnerte, die in Einmachgläsern aufgereiht in deinem Regal stand. Da hast du dich umgedreht und dich, zurück im Haus, in deinem Zimmer verschanzt. Als sie dich zum Abendessen rief, hast du ihr die Exuvie einer Mosaikjungfer auf den Teller gelegt, das schönste und größte Stück deiner Sammlung, das du flehentlich beäugtest, als könnte sich der heikle Moment im Leben der Libelle noch einmal vollziehen, wenn die Larve den Innendruck ihres Körpers erhöht, die Haut aufplatzt und sich das Insekt in die Freiheit zwängt, aus den dunklen Wasserjahren heraus in ihren einzigen Sommer über dem Moor.
    Lecker, grinste Marga und blies die Hülle vom Teller, stippte sie aber dann auf den Löffel und hielt sie ins Lampenlicht. Jedes Detail des erwachsenen Tieres zeichnete sich bereits darauf ab, die Segmente des stabförmigen Hinterleibs, sechs lange, dreigliedrige Beine, der Ansatz der vier Flügel, sogar die Mundwerkzeuge. Am Kopf bildeten zwei durchsichtige Blasen den Hohlraum der Facettenaugen, dahinter, am Rücken, war die Hülle geschlitzt, fing den Luftzug in einem winzigen Spalt; die Beinchen begannen zu zittern, als würde sich die leere Libelle jeden Moment in die Luft erheben. Wie ein kleiner Palast, flüsterte Marga, plötzlich fasziniert, und du hast triumphierend genickt. Dann habt ihr euch beidemit angehaltenem Atem über das Kunstwerk gebeugt, einer des anderen Augen gesucht und in diesem Moment wohl das Gleiche gedacht. Plötzlich fiel die Exuvie, vielleicht angetippt von ihrem Atem, vom Löffel und brach auf dem Tellerrand in zwei Hälften. Als du das Häutchen vorsichtig in deine Hand schütteln wolltest, zerbröselte es. hDu hmachst halles hkaphutt!, riefst du, warfst den Kopf in den Nacken und stampftest mehrmals auf den Boden, als könntest du so die Worte aus der Kehle schleudern. Sie zog dich an sich, doch das braune Gefühl sackte in den Bauch und wurde rot, da bist du mit geballten Fäusten von ihr weg und die Treppe hoch. Du hast doch Hunderte davon!, hörtest du sie beleidigt aus der Küche rufen, dann knallte die Tür zu und das Bett gegen die Wand, so dass in der Ritze, in die du hast flüchten wollen, kaum ein Finger mehr Platz fand.
    Es heißt Moor?, fragte Ute Hassforther zweifelnd und legte den Kopf leicht schief, während sie das Schildchen mit Titel und Werkangaben des Bildes betrachtete. Marga sah dich nah bei der Galeristin stehen, das Gesicht um Mund und Augen jetzt schmal und hart, alles Kindliche war aus deinen Zügen verschwunden. Auch an jenem Abend, als sie die Larvenhülle zerbrochen hatte, warst du ihr plötzlich so fremd erschienen, viel zu überlegen, fast erwachsen, es hatte ihr Angst eingeflößt. Es war, erinnerte sie sich nun wieder, das erste Mal gewesen, dass du dich im Zimmer eingeschlossen hattest; sie hatte bis dahin gar

Weitere Kostenlose Bücher