Moor
Sarg.
Ihr Körper wurde bleiern und heiß. Sie fühlte, wie das feuchte Bettzeug sich um ihre Hüften wickelte und sie in die Matratze hinabzog, weg von dem Mann, der geräuschvoll neben ihr atmete, hinunter in ein weiches, lüsternes Dunkel. Sietrat die Zudecke weg, stand auf und ging ins Badezimmer. Dort stellte sie sich vor den Spiegel und betrachtete ihren Körper, der mit jedem Tag mehr aus der Form geriet; auch ihr Leben, dachte sie, würde nach der Geburt ihres Kindes zu einem Klumpatsch verkommen, sich stauen und blähen in einem eintönigen und endlosen Alltag zwischen Küche, Kontor, Kinderzimmer und den biersauren Küssen ihres Mannes, die sie nur mehr erduldete, um danach, wenn die kurze Aufwallung seiner Leidenschaft wieder verebbt war, ihren Ideen nachzuhängen, meist nachts in ihrer Werkecke, die sie sich in der Gerätescheune eingerichtet hatte, am alten Holzofen gegenüber der staubblinden Fensterfront, die früher ein Tor gewesen war, nun aber selbst bei Sonnenschein das Licht gleichmäßig auf die Arbeitswand warf, zum Malen ideal.
Sie reckte sich vorm Spiegel, doch ihre einst so schlanken Hüften, wo vor wenigen Monaten noch alles an seinem Platz und in Maß und Lot gewesen war, blieben ein unansehnlicher Wulst. Sie berührte ihre festen, spitzen Brüste, die, stellte sie sich vor, bald ein aufgedunsenes Gesäuge sein würden, quetschte ihren Bauch, der sich nicht wegdrücken ließ und zwischen ihren Händen hervorquoll. Auf dem Pellhof, wusste sie, an einem Abzweig der Landstraße zwischen Fenndorf und Rahse, wohnt die alte Pettersen, die früher einmal Krankenschwester auf einer Frauenstation war und sich manchmal ein Zubrot verdient hatte, zu Hause in ihrer Küche beziehungsweise Praxis, die, so erzählte man sich, nur aus einer Pritsche und ein paar ausgemusterten medizinischen Gerätschaften bestand, mit denen sie die Mädchen, die von den Müttern der Umgebung heimlich zu ihr gebracht wurden, von den Folgen ihrer Ausflüge in die Baracken der Torfstecher befreite.
Wäre sie, Marga, so phantasierte sie weiter, ein paar Monate zuvor nachts die Landstraße entlang oder über den Pfad durchs Moor zu ihr gekommen, die Greisin, mittlerweile steinalt, hätte auch heute noch das Bündel Scheine entgegengenommen und ihr mit einem Schlauch die Lauge eingeflößt, die ihr das Problem kurzerhand aus dem Leib geätzt und in ihrem Leben den unumkehrbaren Fehler ausgemerzt hätte, den sie begangen hatte, als sie sich schon bei der dritten Begegnung von ihm, Dions Vater, eine Verlobung hatte aufschwatzen lassen, und sie zerrte am Hochzeitsring, doch er ließ sich nicht über den geschwollenen Fingerknöchel streifen, selbst ihre Hände, dachte sie und strafte ihr Spiegelbild mit einem abfälligen Blick, waren schon nicht mehr die magischen Werkzeuge einer Malerin und, wie Siana manchmal in einem seltenen Anflug von Gefühlsseligkeit ihre Mädchen genannt hatte, Messalina, sondern die Pranken eines Muttertiers.
Sie hätte auch eine Stricknadel nehmen können. Herausstochern den sie von Tag zu Tag mehr auftreibenden und verunstaltenden Kindskörper, der vor wenigen Monaten noch ein leicht zu entfernender Zellhaufen gewesen war, nur etwas Unförmiges, kaum Menschliches, wahrscheinlich Fühlloses, das, von der Nadelspitze angepiekt, irgendwann aus ihr herausgeblutet wäre, ja sogar noch jetzt, in diesem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium, würde sicherlich alles, dachte sie, wenn auch nicht ohne Schmerzen, Fieber womöglich, einer schweren Folgeentzündung, aus ihrem Unterleib abfließen, schon mit Augen oder Ansätzen von Augäpfeln, weißen Häutchen, die sie aus dem Eimer herauf anstarren, blind und nun, noch lang vor der ersten Erfahrung von Licht, ins ewig Dunkle verbannt, und sogar Arme hätten vielleicht aus demMatsch emporgeragt, ein Füßlein, Zellklumpen in Kopfform, über deren Anblick sie vermutlich in Ohnmacht gefallen wäre, vor Schmerzen oder wegen des Blutverlusts, wie im vergangenen Jahr das Mädchen aus dem Modehaus, Nadina, die auf einem der Überseefrachter, unter Deck versteckt hinter Bergen unreifen Obsts, aus Argentinien gekommen war und von Siana Naranja getauft wurde, nachdem die ihre Brüste befühlt hatte, die fest und fleischig seien wie zwei Orangen. Die besten Titten auf dem Kiez, hatte auch sie, Marga, der Chefin zustimmen müssen, wie überhaupt das Mädchen eine mit Kurven und Kerlen üppig ausgestattete Schönheit war, wohl der Grund, warum Naranja oder Nadina schon
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