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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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derartige Opferungen in vorchristlichen Zeiten durchaus von großer sozialer und juristischer Bedeutung gewesen sein könnten, wozu schon der römische Historienschreiber Tacitus in seiner Germania hilfreiche Quellen liefere, Feiglinge und Kriegsscheue und körperlich Geschändete, zitierte der Artikel abschließend die antike Schrift, versenkt man im Sumpf und besonders im Morast, wobei man noch Flechtwerk darüberwirft.
    Sie erinnerte sich, wie Dions Vater bei diesem Satz ärgerlich die Zeitung zusammengefaltet und geschnaubt hatte, was das eitle Geschwätz denn bedeuten solle. Sie hatte die Hände um ihren Bauch gelegt, durch den, wie so oft in letzter Zeit, ein leichtes Beben gegangen war, und aus dem Küchenfenster hinüber zum Teich geblickt, wo sich die Dämmerung als schwarze Wand über die Ebene schob. Sie haben ihn vorher gefickt, sagte sie, löschte die Gasflamme unter dem Topf mit der Suppe und stellte einen Teller auf den Tisch. Endlich zurück in der Scheune, hatte sie sich auf das ausrangierte Sofa mit den zirpenden Metallfedern gestreckt, den Kopf zur Seite fallen lassen und lange das erst kürzlich in Angriff genommene Ölbild betrachtet, wo sich auf zu viel Weiß ein paar braune Striche kreuzten, unbeholfen und ziellos; nur Ute Hassforther musste darin eine besondere Begabung erkannthaben. Endlich wandte die sich deiner Mutter zu, musterte sie von Kopf bis Fuß und fragte: Wo, Marga, haben Sie eigentlich studiert?
    Sie zuckte zusammen. Mit ihrer Antwort, dachte sie, würde sie nun alles verderben, die Chance verspielen, auf die sie den ganzen Abend gewartet hatte, denn sie würde keine Akademie und keine Schule nennen, nicht mit Theorien auftrumpfen und Hypothesen über die zeitgenössische Kunst formulieren können. Sie hatte keine Bücher gelesen und sich nicht in das Leben und die Leidenschaften ihrer Vorbilder vertieft, während all der Jahre mit Ausnahme des Füssli-Nachtmahrs nicht einmal ein Vorbild gehabt, nur die Stille, den Staub und den Rost der Erinnerungen in einer Scheune, wo das Regenwasser über die Arbeitswand tropft.
    Halt him hMoor, hörte sie plötzlich das vertraute Gehauche hinter sich, drehte sich um und sah dich ganz nah. Dann kommen wir also bald ins Geschäft, junger Mann, sagte Ute Hassforther, schüttelte erst dir, dann deiner Mutter die Hand und steckte ihr eine Visitenkarte zu. Sie solle anrufen – ich darf doch Marga sagen, oder?, lächelte sie und rauschte ab. Marga wartete, bis die Galeristin im Pulk der Gäste verschwunden war, die von der Drehtür hinaus in die Nacht geschaufelt wurden, dann schnappte sie ihr mit gebleckten Zähnen Fotze! hinterher, beugte sich zu dir herab und öffnete den obersten Hemdknopf. Kleider machen Leute, grinste sie, doch ihre Lippen waren dabei schmal und wirkten zerbissen.
    ◆◆
    Lass mir das Bild da! Ute hält ihre Hand fest; ich werde sehen, was ich tun kann.
    Nein!
    Sie hört ihre eigene Stimme wie einen Schnitt, der alles durchtrennt, die Wirbel zwischen ihren Schulterblättern, wo der Rückenschmerz aufflammt, den letzten Faden, der sie noch an ihre Galeristin fesselt, in Utes Gutmenschgesicht die Maske des Mitgefühls, das schon immer eher Mitleid war, eine endgültige Bewegung, so entschieden und kraftvoll, dass sie zurücktaumelt und ihr aus Utes Augen einen Moment lang die nackte Verachtung – oder ist es doch Neid? – entgegenstarrt. Du solltest aufhören, immer wieder Dion zu malen, sagt sie, räuspert sich, eine Braue zuckt, der Mundwinkel, dann ist in ihrem Mienenspiel wieder alles am rechten Platz. Du stagnierst seit Jahren, fügt sie hinzu, und dem Jungen schade es auch. Das Kunsthandwerk hängt ja immer noch dahinten, nörgelt Daniel, der plötzlich wieder neben ihr steht. Am Montag komme jemand von der Presse, und Röcker blickt genervt in die Runde, da spätestens muss alles fertig sein. Marga dreht sich auf dem Absatz um; in überwältigender Klarheit sieht sie vor ihrem inneren Auge das Bild, wie sie alles hinter sich lässt, das Malen, das Modehaus, Fenndorf und die Mutter in ihr, die all das doch nur notdürftig zusammenhält.
    Ich breche deine Hülle auf, durchsäuere die Haut mit meinem eisengelben Wasser. Aus deinem Rachen steigt ein letzter Schwall Luft, weit über dir platzt eine Blase. Du verströmst einen kindlichen, leicht buttrigen Geruch und schämst dich, weil du dich am Morgen nicht gewaschen hast, doch ich nehme dich ohne Zögern in den Mund. Da endlich entspannst du die Muskeln, lässt mich

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