Moor
Zwillingsschwestern aus Harvestehude, wo die weißen Stadthäuser Palästen glichen und die Ärzte, Professoren und Schauspieler, die dort wohnten, Väter waren, die ihren Töchtern keinen Wunsch abschlagen konnten, und der berühmte Theaterregisseur, den sie sich in ihrer Geschichte zum Vater erkoren hatten, sie also auf dem Weg zur Abendvorstellung in seinem schwarzen Jaguar zum Millerntorplatz gefahren und mit einem leicht besorgten, aber vertrauensvollen Winken ins Leben entlassen hatte, seine Prachttöchter Mira, die Blonde, und Gila, die Schwarzhaarige mit den ungezähmten Locken, die sich so wenig ähnelten und doch in der Samstagnacht einander ergänzten wie die helle und die dunkle Seite des Mondes, der die Zauberklammer war, die sie zusammenhielt, und ausgerechnet ein Kleiderbügel, der ähnlich gekrümmt ist wie das ab- oder zunehmende Himmelsgestirn, später dann auch wie das Geschlechtsteil von Miklos, dem Zuhälter, das sie, Marga, noch einmal andas veruntreute Versprechen dieser Nächte erinnern sollte, ausgerechnet ein sichelförmiger Bügel oder Prügel hatte am Höhepunkt ihrer Zwillingsgeschichte das Band zwischen ihr, Mira, und Gila, der geliebten Freundin, in der Mitte durchtrennt, so dass das Bild, das in den Farben und Verflechtungen der Nacht damals schon fast vollkommen schien, von einem auf den anderen Moment wieder weiß war und von allen Geheimnissen entleert, wüst und ohne die Wunderkraft des Mondes bis zum heutigen Tag.
Sie knallt den Kofferraumdeckel zu, klemmt Röcker fast die Finger ein, die schon in ihren Arbeiten wühlen und sich ihres Talents vergewissern wollten, oder doch ihres Scheiterns? Er springt zurück, packt ihre Hand und legt sie auf sein Schlüsselbein, in die Mulde unterhalb des Kehlkopfs, die Stelle am Körper eines Mannes, die sie anmacht, wenn sich ein Schweiß- oder Samentropfen darin sammelt. Alles andere ist Werkzeug und Routine, das übliche Geschäft: Sie wichst den Freier hoch auf Halbmast, bringt ihn mit der Zunge bis zum Anschlag, krault die Eier. Wenn sie merkt, dass es ihn aufgeilt, arbeitet sie sich weiter vor auf den Damm, wo unterhalb des weichen Knorpels die Prostata sitzt, drückt sacht auf den Schließmuskel, dringt mit einem Fingerglied ein, bis der Vorsaft tropft. Der Typ bettelt ums Finale; sie weiß, dass sich seine Frau oder Freundin kaum Zeit für die meist abgewandte Rückseite nimmt. Wenn sie es ihm danach aus der Schlüsselbeinmulde wischen kann, hat sie einen guten Job gemacht, und er kommt wieder.
Seit einiger Zeit steht im Ankleidezimmer ein Fernsehgerät; bei Typen, die sie ekeln, schaltet sie sich ins Programm. Die Männer beschweren sich selten über den Beilärm, vielleicht gibt ihnen der laufende Fernseher ein vertrautes Gefühl, wiezu Hause im Wohnzimmer. Einmal, erinnert sie sich, war der Krimi so spannend gewesen, dass sie mittendrin aufhörten und gemeinsam den Film zu Ende schauten. Es war ein junger Kunde gewesen, der wusste, was er wollte, und sogar nach ihren Wünschen fragte, nicht übel. Sie lag mit der Schläfe auf seiner Schulter und rauchte. Er hat trotzdem bezahlt, sogar die Überstunde bis zur Aufklärung des Mordes. Eine Zeitlang hat sie gehofft, ihn wiederzusehen; sie würden erst vögeln, dann einen Film schauen oder umgekehrt, zum Sondertarif. Doch er war wohl einer von denen gewesen, die jedes Mal eine andere brauchen und deshalb nie Stammkunde im Modehaus werden, was sie bedauerte; die chronischen Wiederkommer sind meistens auch jene, bei denen der Fernseher mit voller Lautstärke und mit dem Farbregler auf Maximum flimmert und plärrt.
Jetzt würde sie lieber eine Lexotax schlucken, die sie für solche Momente in der Handtasche hat. Sie könnte sich die Pille zusammen mit einer Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger klemmen und mit dem Filter unbemerkt in den Mund schieben, im Modehaus macht sie das manchmal so. Sie bewegt sich nicht. Röcker drückt ihren Finger auf sein Schlüsselbein und zischt beim Atmen durch die Zähne. Ausgerechnet jetzt muss sie an Dions Vater denken, der dort, wo nun ihre Hand liegt, keine Mulde vorzuweisen hatte, nicht einmal eine Kerbe, nichts, worin sich, wenn sie ihn zum Höhepunkt trieb, der Schweißtropfen hätte stauen können. Vielleicht war das schon das Ende der Affäre gewesen oder vielmehr seiner Anziehungskraft, als sie ihm zum ersten Mal das Hemd aufknöpfte und unterhalb des Kehlkopfs alles plan und ohne Verheißung war.
Und jetzt? Sie dreht sich weg, reißt die
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