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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Fahrertür auf, mit Schwung, weil sie sonst klemmt. Dann fällt sie, plötzlich todmüde, in den Sitz. Im Rücken pocht der Schmerz. Die Heimfahrt, denkt sie, in dieser Haltung, wird die Hölle. Worauf wartest du?, ruft sie nach draußen, und Röcker steigt ein. Sie könnte ihm jetzt das Hemd aufreißen, so dass die Knöpfe über die Armatur springen, wie sie es neulich in einem amerikanischen Film gesehen hat. Also zu dir?, sagt Röcker und wischt sich das Regenwasser von der Stirn. Sie packt ihn beim Schopf und dreht sein Gesicht zu ihr hin; in seiner Blässe wirkt er für einen Moment schmal und verschreckt, dann hat er die Lage wieder im Griff und schnappt nach ihrem Mund. Im Auto ist mir zu amerikanisch, sagt sie und stößt ihn zurück in den Sitz.
    Lieber französisch? Er kenne da ein Stundenhotel am Steindamm. Sein Grinsen friert fest. Bei mir zu Hause geht nicht, schiebt er schnell hinterher, sie sagt: Schon klar, und steckt den Zündschlüssel ins Schloss. Der Gedanke, ihn nach Fenndorf zu bringen, stachelt sie an. Sie würde mit ihm Wein und Zigaretten bei Ilse Bloch kaufen und das Kleingeld aus seiner Jeanstasche wühlen. Eine halbe Stunde später hätte sich die Neuigkeit im ganzen Dorf herumgesprochen, keine Verleumdung dieses Mal, nein, die schlichte Wahrheit. Mit einem Gefühl des Triumphes – oder wäre es, nach all der Heimlichtuerei, endlich Erleichterung? – würde sie ein paar Minuten später Röcker in der Küche wie im Film das Hemd aufreißen, die Knöpfe beobachten, die über den Boden springen, und dabei Dion zunicken, der in der Tür steht und sie fragend anstarrt. Sie zerrt ihrem neuen Liebhaber die Hose auf die Schenkel, dreht dem Jungen seine Rückansicht hin und sagt: Gefällt dir dieser Arsch?
    Schon am nächsten Tag, denkt sie, hätte er es verschmerzt,würde wieder Libellenlarven sammeln und etwas über das Leben gelernt haben, über seine Mutter und seinen Vater, der auch ein Freier gewesen war, ins Modehaus geschleppt von einem der Stammkunden, einem zwielichtigen Hamburger Exporteur, Rasmussen, glaubt sie sich an den Namen zu erinnern, der mit ihm, Dions Vater, einen Vertrag abgeschlossen und zur Feier des Tages etwas hatte springen lassen, drei Mädchen und zwei Flaschen Champagner à hundertfünfzig Mark das Stück, das Gesöff, nicht die Hure, die doppelt so teuer war, was wieder Zoff zwischen Siana und dem Händler gegeben hatte, der stets versuchte, den Preis zu drücken, also hatte Siana, die, je nach Durst und Stimmung ihrer Kunden, an den Getränken oft besser verdiente als mit den Mädchen, sie, Mira, als Gratisbonus draufgeschlagen, mit der Bedingung, noch mindestens eine Flasche zu ordern, und Rasmussen hatte den Korken knallen lassen und seinem neuen Geschäftspartner auf die Schulter geklopft, der ihm die Torfsoden liefern sollte, die Rasmussen nach Spanien zu verschiffen plante, wo die Bauern ihre ausgelaugten Tomatenfelder mit Erde aus Fenndorf salzen sollten, tatsächlich salzen, erinnert sie sich an seine Worte, den Spaniern salzen wir die Tomaten und euch die Mösen, hatte er gerufen und sie in die Arme von Dions Vater gestoßen, der verschüchtert in der Ecke stand. Das Geschäft war dann an den Zollbestimmungen gescheitert, weil Rasmussen mit illegalen Exportpapieren operierte, doch da war sie schon längst mit ihrem Freier, jetzt Verlobten, auf dem Weg nach Fenndorf gewesen.
    Sie wollten, wie es typisch ist für Verliebte, einen Abstecher zur Küste machen, doch waren sie nur bis in die Marsch gekommen, weil dem nagelneuen Wagen irgendwo fern jeder Tankstelle das Benzin ausgegangen war, und auch ihrer Liebe, die wie der spanische Torfkontrakt ein Kuhhandel war, sollte bald der Saft ausgehen, der gerade noch ausgereicht hatte, ihr ein Kind in den Unterleib und das Kapital seines Erzeugers ins Leben zu pflanzen, ein verrottetes Haus im Moor und den Traum vom Glück einer jungen Mutter.
    Ilse Bloch, damals selbst noch oder schon wieder schwanger, hatte umständlich die Packung Trockenmilch nach dem Preis abgesucht, die Marga in ihrem Laden kaufte oder hatte kaufen müssen, obwohl das Verfallsdatum schon überschritten war, weil im Dorf keine Mutter je zur Trockenmilch griff, im Gemischtwarenladen unter den Augen der Besitzerin, wo Trockenmilchmütter nur jene Frauen sind, denen die eigene Wohlgeformtheit wichtiger ist als das Wachsen und Werden ihres Kindes, das sie, die Neue im Dorf, kaum Witwe und schon wieder süchtig nach den Blicken der Männer auf ihren

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