Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
Vom Netzwerk:
rausgeschickt, doch die Angst vor dem Sturz ins Kloloch hielt dagegen. Wie da die Kälte vom Wasser heraufstieg, nicht wirklich, aber in deiner Vorstellung dich befingerte, eine unsichtbare Hand aus dem Abfluss.
    Oft hast du dabei den Verlauf des Rohres in Gedanken nachgezeichnet: Nachdem es den bodenlosen Schacht unterhalb der Bettritze, also heute auch den nicht selten zweimal täglich herabrutschenden weißen Glibber, in sich aufnimmt, führt es unterm Heidedamm hindurch, bei dem von Brennnesseln überwachsenen Kanaldeckel, bis es am Feld ins Freie tritt. Getarnt unter Gestrüpp stößt es aus der Erde und mündet in einen breiten Drän, der von Büschen gesäumt die Viehweiden durchkreuzt und das Ablaufwasser aus den Torfstichen zur Jumme leitet. Der Anblick der Tunnellöcher, aus denen unter den Flurwegen und Treckerrampen hindurch der schwarze Bach lautlos und ein wenig grimmig, wie dir stets schien, in die Ackerspalte strömt, erfüllte dich schon damals mit Grausen. Zahnlosen Mäulern gleich, gähnten sie in den Böschungen und spuckten die Reste deiner Verdauung zwischen das Kraut, das sich dort labt, an dem Schaum, der sich zu Schwämmen staut, geschwürartigen Gebilden, aus denen der Wind gelbliche Flocken reißt.
    Sosehr dich das Geröhr und die aus ihm heraussickerndeBrühe als Kind auch schreckten, immer wieder lockte es dich dorthin; mit einer Hand in das biegsame Gehölz eines Weidenbusches gekrallt, hast du über der Böschung gebannt in den Schlund gestarrt, der aus dem blauen Sommertag hinein in die Tiefe des Torfes führte. Beim Klogeschäft erschien dir das Rohrmaul drohend auf der leeren Fläche der Bodenkacheln. Der Gedanke, du könntest hineinrutschen, hinabgestrudelt vom Wasserschwall aus dem Spülkasten, hat dir das Kacken stets zum Alptraum gemacht. Selbst wenn nichts zu erledigen war, hast du manchmal den Deckel hochgeklappt und in die Schüssel geblickt, in der ein aufgeweichtes Taschentuch oder ein ausgebürsteter Haarplacken aus Margas Blondmähne schwamm. Immer wieder hast du den Spülknopf gedrückt, alles Wasser gurgelte weg und stand am Ende doch wieder im Loch, still, trüb und trügerisch wie im Drängraben, vor dem alle Kinder im Dorf Angst haben, denn dahinter lauere ich.
    Nicht mir aber galt damals deine Furcht; schon als kleinen Jungen konnte ich dich als Kenner meiner Tücken und Täuschungen mit Erlengeistern und Gruselgeschichten vom Versinken und Ertrinken kaum mehr bluffen. Das Trauma vom Rohr muss im Kindergarten seinen Anfang genommen haben. Du erinnerst dich, wie David Voss, der schon damals von allen Dorfkindern das hinterhältigste war, dein Lieblingsspielzeug ins Klo geworfen hat, einen weißen Fisch aus Plüsch. Aus der Rollenspielgruppe schon nach den ersten gescheiterten Sprechversuchen von den anderen weggebissen, hattest du das stumme Tier stundenlang über das blaue Linoleum mit den Rillen oder Wellen gezogen, wobei du dir vorstelltest, im Kindergartenzimmer stünde das Wasser bis zu den Stuhllehnen. Die Kleinkinder, die noch am Bodenkrochen, waren die Libellenlarven, die schon etwas größeren die Fische, die Jagd auf die Wasserinsekten machten. Oder hast du dieses Bild in deiner Erinnerung erst später hinzugefügt? Von den Libellen wusstest du damals noch nicht viel.
    Doch an die Kriegserklärung von David Voss erinnerst du dich genau: Der Fisch müsse jetzt wie du nach Hause gehen, hatte er erklärt und den Spülknopf gedrückt. Du sahst das Wasser wirbeln und das Stofftier noch einmal heraufschnappen, dann war beides weg. Der Abfluss schmatzte, oder war es hinter dir Thorsten Hinrich, schon damals Davids Handlanger und Scherge, fett, schwitzig und übel furzend wie heute, nur kleiner. Du bist dann wieder zu den anderen und hast im Kaufladen die Rolle des Regaleinräumers gekriegt, der nicht viel sagen und kaum etwas tun musste, so dass dein Blick zum Fenster wanderte, von einem unsichtbaren Winken vielmehr hinausgelockt wurde, zu den Rohrmäulern unter den Sträuchern, die den weißen Fisch irgendwann in den Graben und zurück in die Freiheit spucken würden.
    Deine erste Begegnung mit mir hattest du auf dem Kindergartenklo, die vorerst letzte heute Nachmittag am großen Kolk, jenseits des Horizonts, wie du gehofft hattest, hinter der letzten sichtbaren Linie des Landes, die aber nur eine Nebelbank vor der nächsten Wolkenwand war, mit mir, dem Moor, als Grenze dazwischen. Die Schlenke, in die du dich todesmutig gelegt hattest, ließ dich einfach nicht

Weitere Kostenlose Bücher