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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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versinken, denn nur in den Geschichten fresse ich die fehlgegangenen Kinder, ein schnell vergessener Irrtum, wie sich Kinder eben geirrt haben, wenn sie beginnen, die Märchen der Erwachsenen zu hinterfragen; ein enttäuschter Blick, ein kurzes Bedauern, dann weiter hinaus in die Welt. Die gesamteScheiße von Fenndorf nämlich, auch deine, Dion, kommt in die Gemeinschaftskläranlage nach Zeeve, die Abwasserbehörde macht da zwischen dir und den anderen keinen Unterschied.
    Trotzdem saß deine Mutter bis zum Ende der dritten Klasse auf dem Badewannenrand, reparierte ihre Fingernägel, suchte neue Schnittmuster im Katalog aus oder starrte mittenhinein in die Geheimnisse deines Körpers. Sie hat dann auch das Saubermachen erledigt. Wenn sie von unten mit dem Klopapier kam, war da oben diese Hitze und abwärts des Bauches das Frostgefühl, wie damals beim Fiebermessen. Und wie beim Fiebermessen bist du an jenem Abend nach der Sache mit Hannes, von der du ihr niemals erzählen wolltest, erstarrt und gleichzeitig hineingesunken in ihre Hand, als sie deinen Hintern zu streicheln begann, erst über das Kreuz, dann tiefer, als wollte sie dort die Temperatur messen oder sich vergewissern, ob du schon sauber bist.
    Mach den Dreck weg und komm essen, sagte sie und stand auf, und du wusstest nicht, welchen sie nun gemeint hatte, den Kot von deinen Schuhen auf den Treppenstufen oder das Geriesel in der Ritze. Kaum war sie weg, hast du das Bett von der Wand abgerückt. Noch mehr verdorrte Spinnen kamen zum Vorschein, ein verstaubter Bleistift, dein schon lange vermisster Schlüsselanhänger und an der Wand gelbliche Spuren, verblasst und kaum mehr sichtbar, als wäre vor langer Zeit Moorwasser über die Tapete gelaufen. Obwohl du noch oft am Drän gestanden und in den schäumenden Schlund gestarrt hast, ist der weiße Fisch nie wieder aufgetaucht, weder aus dem Rohrloch noch vom Grund deines Bettes.
    Du fasst dich an und biegst deinen Steifen aus dem Wasser. Mit dem Lineal, das du fast täglich ansetzt, misst du dreizehn Zentimeter, dreizehneinhalb, wenn du die Null in die Haut bohrst, bis es schmerzt. David Voss trumpft mit siebzehn auf, doch als du ihm am Pissoir über die Schulter geschielt hast, war da nur der gelbe Strahl zwischen den Fingern, sonst nichts. Auch bei den anderen Jungs aus deiner Klasse siehst du links und rechts an der Pinkelrinne nur Mickriges und Kleinstes. Vielleicht wirst du bald das Bett ein Stück von der Wand abrücken müssen, um mehr Platz zu haben. Marga, das hast du dir geschworen, darf nichts davon erfahren, weder vom Lineal noch von der Spalte, in der es zusammen mit deiner Schreibkladde steckt. Dass sie am Morgen Größe und Aussehen deines Geschlechts mit einer Larve verglichen hat, empfindest du zum einen als Beleidigung, zum anderen scheint es dir in biologischer Hinsicht falsch. Erstens, so hättest du ihr widersprechen müssen, ist der Mensch als Embryo vielleicht eine Art Wurm, aber niemals eine Larve. Ein Kind häutet sich nicht, seine Haut wächst im Gegenteil mit den Knochen und Organen langsam aus und beginnt im Erwachsensein allmählich wieder zu zerfallen. Die Libelle aber, einmal Imago, bleibt, was sie ist, bis zum Ende. Du sammelst die Exuvien schon seit vielen Jahren, und zweitens misst selbst die längste Larvenhülle in deiner Sammlung kaum fünf Zentimeter. Höchstens sieben Striche auf dem Lineal erreicht der Körper einer ausgewachsenen Torf-Mosaikjungfer, der größten Libelle, die in dieser Gegend vorkommt. Auf dem Porträtbild aber, für das du in den letzten Tagen hast posieren müssen, hat sie dir das Schwänzchen einer Binsenjungfer oder Federlibelle verpasst, die es beide kaum über die vier schaffen, und du zerrst dich hoch und beugst den Rumpf gleichzeitig nach vorn, über die Grenzen deinerGelenkigkeit hinaus, bis dein Körper eine Art Rad bildet und du mit der Zungenspitze die Eichel berühren kannst.
    Aber leider nur fast. Pech gehabt, Dion, vielleicht bist du dafür nicht Krüppel genug. Jakob Wendisch schafft das mit links. Am Badeflecken an der Jumme ist der Mongoloide, zack!, in die Klappmesserstellung, Schultern zum Becken, und mit dem Mund runter auf seinen Schwanz, von der Truppe um David Voss erst gekitzelt, dann getreten. An einem der letzten heißen Sommerferientage bevor Jakob wieder zurück ins Heim musste, hat Voss ihm beim Herumspritzen im Wasser die Badehose geklaut. Dass der Behinderte, obwohl mit seinen mittlerweile sechzehn Jahren hochaufgeschossen

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