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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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so deine Schlussfolgerung, und die Sache mit der Liebe machen will, steht vor einem Problem: Er müsste sich oder seiner Eva dafür die Knochen brechen, wahrlich keine hochentwickelte Art der Fortpflanzung.
    An dieser Stelle hast du den Absatz wieder gestrichen, die Theorie schien dir zu gewagt, außerdem führten deine Ausführungen weg vom Thema. Die Libelle jedenfalls, hättest du den Faden wieder aufgegriffen, habe schon immer ihre Eier ins Wasser gelegt. Wenn sie nicht irgendwann als Fossil einer ausgestorbenen Art im Naturkundemuseum enden wolle, müsse sie ihr Überleben sichern, indem das Weibchen denSamen sammelt. Die beste Libellenmutter sei eine, die viele Männer hat, und wieder hätte da dieses Grinsen in deinen Mundwinkeln gezuckt, während du den Satz sprichst, über den alle noch lange nachgrübeln würden: Nur eine Rabenmutter, sagst du in Tanjas Richtung, nimmt den erstbesten Kerl.
    Tatsache aber ist, dass Tanja schon vor der Klassenzimmertür gewusst hat, dass du keinen dieser Sätze zustande bringen würdest. Niemand von deinen Mitschülern sollte an diesem Morgen etwas über die Libellenliebe erfahren, die das unausgesprochene Geheimnis zwischen dir und Tanja bleiben würde, das nämlich glaubtest du in ihrem Blick zu lesen, bevor sie die Tür zuzog, sanft, aber bestimmt, als wollte sie sich für immer dort im Lärm der tobenden Schüler einschließen, oder dich hinaus in die Stille des Moors. Wahr ist auch, dass dich, Dion, eine verantwortungsvolle Libellenfrau im harten Überlebenskampf der Natur niemals unter ihren Liebhabern auswählen würde. An deinem Samen würde sie sofort erkennen, dass du ein Stotterer bist und die Gefahr besteht, die Behinderung an ihre Nachkommen weiterzugeben. Wie du weißt, verständigen sich Libellen in der Welt unter anderem über die Farbsignale ihres Körpers, die sie bei der Balz einsetzen oder zur Abwehr von Feinden. Ein stotterndes Libellenkind wäre in der Natur farblos, jede andere Libelle würde es übersehen. Es fände keinen Geschlechtspartner und würde bald gefressen werden. Die Stotterlibelle könnte sich höchstens mit einer anderen Krüppellibelle paaren, beispielsweise mit einer, die wie deine Freundin Tanja an der Glasknochenkrankheit leidet, so dass ihr Panzer nicht wie bei den anderen aus Chitin, sondern aus Papier oder etwas Papierartigem besteht, das im Flug zerreißt. Eine Stotterlibelle und eine Glasknochenlibelle würden Kinder zeugen, denen ich auf schnellstem Weg den Garaus mache, denn hier draußen herrscht das Gesetz des Stärkeren.
    Du kannst Tanja schon allein deshalb nicht sagen, dass du sie liebst, weil ein stotterndes Glasknochenkind dabei herauskäme, ein Mensch, zerbrochen an seiner Sprache und langsam zerbrechend im eigenen Körper, stumm als Kind und im Rollstuhl, sobald es herangewachsen ist. Wer will so etwas haben? Beim Ballwegschießen hätte dieses Kind keine Chance, es würde einfach überhört, überrannt oder weggeschickt, wie damals Jakob Wendisch, ein, wie man sagt, Mongoloider, der jetzt im Behindertenheim untergebracht ist, worüber alle froh sind, vor allem die Dorfkinder, denen er stets das Bannabanna-Spiel kaputtgemacht hat.
    Erinnerst du dich? Die anderen, Gesunden, sind irgendwann genervt abgezogen und haben drüben im Garten der Familie Voss weitergespielt, wo es statt dürrer Moorgestrüppe fette Koniferen zum Verstecken gab. Doch Jakob Wendisch ließ sich nicht einfach so abspeisen; zwar war er begriffsstutzig, aber zäh und nach fünf Minuten wieder zurück am Ball. Beim Sprechen, wenn man sein Gelalle so nennen kann, schnitt er noch grässlichere Grimassen als du, und er roch stets, obwohl schon vierzehn, ein wenig nach Pisse. Auch seine Brüder, die Zwillinge aus deiner Klasse, müffeln und sehen mit ihren Kartoffelköpfen nicht aus, als hätte ihre Mutter den besten Samen für ihre Brut gesammelt, und dann gleich zwei davon. Auch sie hat den erstbesten Mann genommen, der ihr untergekommen ist, und das war, wie alle im Dorf wissen, ihr Halbbruder. Es müsste also dringend geklärt werden, wer im Dorf nun die Schlampe ist, deine Mutter oder Brigitte Wendisch.
    In deinem Vortrag hättest du mir an dieser Stelle widersprochen: Die Natur, so wärst du für Marga in die Bresche gesprungen, kennt solche Worte nicht, und auch Krüppel dürfen es da miteinander tun und tun es. Das Moor, so hättest du mich verbessert, spreche eine einfachere und dabei um so vieles reichere Sprache als die Menschen an seinen

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