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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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zu erkennen ist. Ich weiß, wo er ist, sagt Hannes, doch könnte es auch nur der Wind sein, der in den hohlen Stämmen der Erlen summt. Tanja hat es ihm verraten, zischt es aus dem Schilf. Irgendwo gluckst ein Rinnsal, vom Regen gespeist. Dann ist es lange still. Ich weiß es auch, flüstert Marga und schaut Hannes durch die Finsternis an. Der blickt sich um, suchend, weil plötzlich niemand mehr dort steht, und statt der Worte hat er nur ein winziges Geräusch auf dem Wassergehört, von einer Blase, die aufsteigt, an der Stelle, wo vor langer, langer Zeit ein Junge ertrunken ist …
    Du stemmst dich aus der Wanne, greifst nach dem Shampoo und schäumst dich ein, erst Kopf, Hals und Brust, dann gleiten die Hände auf dem glitschigen Hautfilm nach unten. Wenn du dich in die Bettritze drückst, durchkribbelt es dich ähnlich: Du spürst dich anwachsen, während du das Becken in den Spalt stößt und wieder innehältst, im Takt des Sekundenzeigers auf der Libellenuhr, wo Augenblicke sich zu Minuten dehnen, bis es dich heiß durchrieselt, ein Gefühl, das über den nächsten Strich auf dem Zifferblatt hinweg andauert, eine kleine fünfstrichige Ewigkeit lang, bis irgendein Geräusch im Haus oder ein Luftzug vom Fenster den Zeiger weitertreibt. Du liegst und lauschst dem Kratzen eines Zweigs an der Hauswand, dem leisen Ticken der Uhr, Margas Geplätscher in der Wanne, in deinem Körper jetzt nichts mehr als Leere und Stille. Das Bett hat längst vergessen, was es sah, es endet dort, wo du ein letztes Mal aufzuckst, und die Wand fängt erst jenseits an und ist sowieso alt und taub. Doch du ahnst, dass die Ritze voll von dem Geriesel sein muss, das dich durchfiebert hat, erst die Bauchhöhle, dann, nach einem langen Stau, der dir die Luft abdrückte, unten raus und weg. Wenn du aber in den Spalt äugst, siehst du nichts als die schmutzigen Buckel der Raufasertapete, eine verdorrte Spinne auf der Bettkante, Staubflocken, dahinter nur Dunkles und Vages. Auch im Bettkasten keine Spur davon, selbst wenn du ihn ganz herausziehst. Es muss sich auflösen, in dieser leeren Stille, in die du danach rutschst, der Schlaf kommt, saugt es auf und spuckt es ins Moor.
    Nach der Sache mit Hannes an der Jauchegrube, erinnerst du dich, hast du dich gleich zweimal in die Ritze entleert, kurz hintereinander. Eine ganze Menge musste da hinab sein. Dann bist du wohl eingeschlafen; ein Kitzeln am Hintern ließ dich hochschrecken. Zuerst dachtest du, es wäre eine Mücke, die, herbeigelockt von der Wärme deines Körpers, die weichste Hautstelle für ihren Stich suchte; du wolltest schon um dich schlagen, als du auf der Bettkante Marga sitzen sahst. Sie war mit dem Gesicht dicht herangekommen und musterte dich grinsend, als hätte sie etwas an dir entdeckt, was sie belustigte, und erst am Ende dieses langen und ein wenig spöttischen Blicks hast du begriffen, dass es ihre Hand war, die auf deinem Po lag. Da bist du weggezuckt, wie früher als Kind, wenn sie mit dem Fiebermesser gekommen ist und du zusammengekniffen und dich unter ihr herausgewunden hast, tiefer hinein in das grippeheiße Bettzeug. Doch wieder, wie schon zuvor im Schwitzkasten von Hannes, war da noch eine andere Kraft, die dagegenhielt und die Bewegung lähmte, als impfte sie dich mit einem betäubenden Gift. Starr lagst du in der Berührung, spürtest die Gänsehaut deinen Rücken heraufwandern, aus der Tiefe der Bettritze, die du, so schläfrig und längst erschlafft, nicht mehr ausfülltest, ein stummes, wissendes Geäuge, und über deinem halbnackten, ein wenig verschwitzten Körper plötzlich ihr leises und kühles Lachen, das auf dich herabschnarrte, dunkel und überlegen, wie ein Kranichruf. Du hast den Atem angehalten und wie früher ins Kopfkissen gebissen – in Wahrheit hattest du den Fiebermesser in dir drin kaum je gespürt, dennoch war es immer, sobald er eindrang, eiskalt in deinem Unterleib geworden, als hätte sie dich mit ihrer Hand schockgefroren. Noch heute ist dieses Frostgefühl das scheußlichste, das du aus deiner Kindheit erinnerst, einschwarzes Gefühl, das dich auch beim Klogeschäft fest im Griff hatte.
    Peinlich genug, dass Marga deshalb das Badezimmer nicht verlassen durfte. Während du dich an die Klobrille klammertest, saß sie auf dem Rand der Wanne, feilte ihre Nägel, blätterte in einem Modejournal oder schaute dich einfach nur abwesend an, was dir unangenehm war, denn sie sollte zwar Wache halten, aber nicht glotzen. Du hättest sie am liebsten

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