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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Grasbüschel von der Oberlippe geblasen, ein wenig gelangweilt. Spitzte den Mund, stieß widerwillig den Atem aus, oder war es schon ihr letzter Seufzer gewesen, diese Art Todesröcheln, an dem du hättest merken müssen, wie lästig ihr alles geworden war, das Malen, die Maloche in Hamburg, das baufällige Haus mit dem ewig unfertigen Kind darin, dem Rockzipfelzerrer und Sprechkrüppel, den sie nun am Arm packte und dabei sagte: Aber du bist eben da, ein Satz, der gleichermaßen Trost wie Anklage war, und weil du wieder nicht genau wusstest, wie sie das meinte, hast du den Alten Mann weitergespielt.
    Sie hat dir den Greisenkuss aufgedrückt, am nächsten Tageinen neuen Rahmen mit Nessel bespannt, den Allestopf gekocht, sogar mit Würstchen, ist wie immer rauchend hin und her über den Hof, doch dann, zwei Tage später, mit einer Schachtel Lexotax intus zu dir ins Bett. Ihr Torkeln, die seltsame Blässe, der Klammergriff mit den nach Kippen und Terpentin stinkenden Fingern, das hingespeichelte, fast schon ausgewürgte Ich lieb dich doch so! an deiner Wange, bevor sie wegkippte, was du schon nicht mehr mitbekamst, weil du im nächsten Moment wieder eingeschlafen bist, eine Schwäche, die du dir bis heute nicht verzeihst. Irgendwann ein Stoß unter der Bettdecke, ihr Körper, der sich verkrampfte, ein Stöhnen, das du im Traum zu hören glaubtest, mehr ein Blubbern, wie unter Wasser, als tauchte sie ein letztes Mal durch den Teich. Plötzlich der Kotzeschwall auf dem Kopfkissen, deine Panik, Hände überall, ihr Körper jetzt schlaff, labberig, wie ohne Knochen, die Augen geschlossen, auch beim Rütteln und Schütteln, selbst nach der Ohrfeige, die durchs Zimmer hallte, war der Augapfel im Lidbett ganz weiß; es war das erste Mal, dass du sie geschlagen hast, und dann gleich ins Gesicht.
    Sekunden, in denen du nicht wusstest, was tun. Eine unbeschreibliche Angst, die wie Feuer aus dem Bauch durch die Kehle stieg und an deinen Schläfen plötzlich zu Eis wurde, ein Zitterkrampf oder Schüttelfrost, bis du nichts mehr anderes wolltest als schlafen. Dann doch runter zum Telefon, das Freizeichen in der Stille ein schwarzes Loch, das alles verschlang, also den Hörer wieder eingehängt, hättest ohnehin kein Wort herausgebracht. Stattdessen rüber zum Bauern Lambert, barfuß, Steine, die sich dir in die Fußsohlen bohrten, die Stiche fast außerhalb des Körpers, schon damals eine Art Phantomschmerz. Stolpern, noch mehr Steine,die irgendwie tröstliche Vorstellung einer Blutspur auf dem Heidedamm, aber auch das ist erst später im Buch hinzugekommen.
    Die Dunkelheit zwischen den Treckern war fast flüssig, ein Klumpen darin, der Kettenhund, der nicht kläffte, nur müde mit den Eisen rasselte, weil er schon damals taub gewesen war oder dich erkannte. Eine Ewigkeit, bis jemand öffnete. Es war Hannes, im Schlafanzug und mit vom Kopfkissen zerdrückten Haaren. Er schaute genervt und gähnte dich an. Erschrecken darüber, dass du beim Blick in sein aufgerissenes Mundloch für eine Sekunde vergessen hast, warum du hier standst. Doch da drehte er sich schon um und rief: Mudder!
    Auch bei Marianne bliebst du stumm, doch in deinen Augen hatte sie es bereits gelesen; trotz ihres Übergewichts und der Schlaftrunkenheit war sie sehr flink. Sie warf den Morgenmantel über, kramte in einer Schublade, nach einem Schlüssel, einer Taschenlampe vielleicht, doch wozu hier die Taschenlampe, am Heidedamm gab es schon damals Laternen, außerdem war es ihr eigener so oft begangener Grund.
    Plötzlich fuhr sie herum, schüttelte dich und rief: Junge!, nur dieses Wort, das haltlos durch die Diele schallte; auf der Treppe erschien dein Onkel Karl. Die Nacht jetzt kälter als noch Minuten zuvor. Wieder rüber zum Haus, das Flappen von Mariannes Pantoffeln, ein leises Fluchen, vielleicht ein Kiesel im Schuh? In deiner Erinnerung bleibt sie an dieser Stelle stehen, bückt sich, holt wieder auf, jetzt doch die Taschenlampe in der Hand. Du begannst zu schlottern. In der Diele baumelte der Telefonhörer an der Schnur, du warst dir sicher, ihn aufgelegt zu haben, hofftest, sie wäre wieder zu sich gekommen, hätte selbst den Notruf gewählt. Dochsie lag noch immer bäuchlings in deinem Bett, das Gesicht auf dem Kissen dir zugewandt, schlafend, schön wie eh und je. Davor, wie eine Glaswand, der Geruch von Kotze, Kinderschlaf, Tod. Marianne prallte zurück und rief: Herrgott, Marga!, verärgert, als hätte sie all das bereits kommen sehen. Sie stürzte

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