Moor
am Genick. Für einen Moment taumelt ihr im freien Fall, doch weil euer Film in den Facettenaugen verlangsamt ist, habt ihr vor dem Aufprall genug Zeit. Kurz vor der Wasseroberfläche kannst du sie wieder hochreißen. Sie zappelt in deinem Griff und wehrt sich, was aber nur Geziere ist, sie hat ja doch auf dich gewartet. Bisher waren ihr alle anderen, die sich anboten, nicht gut genug. Nun krümmt sie sich zum Halbkreis und presst sich an dich, ihren langen, schlanken, rubinroten Unterleib an die Stelle, wo du dich ausgerieselt hast. Sie wird alles in sich aufnehmen, alles prüfen und für gut befinden, so dass du der Vater ihrer Kinder sein wirst. Den Samen der anderen, den sie in ihren Taschen gesammelt hat, stößt sie ab, noch während ihr im Tandem durch die Luft tanzt, unter den Strahlen einer späten Sonne über dem Teich.
Drüben auf dem Baumstumpf zupft der Junge die Mutter am Arm, deutet zu euch herüber und ruft: Schau doch, einHerz!, und die Mutter lächelt, beugt sich herab und drückt ihrem Kind die Lippen auf den Mund, die nach dem Gutenachtkuss schmecken, auf den es den ganzen Tag gewartet hat.
zwei.
WINTER
Wenn der Schnee kommt, wird die Stille zur Bewegung. Der Himmel löst die Wolken auf, löscht den Horizont, nur die Krähe auf dem Baumstumpf steckt noch im Weiß, ein letzter Strich, bald verwischt. Darüber bildet der Dunst eine zweite Schicht, in Raureif gehüllt, ragen die Birken hinein, flüchtige, filigrane Gebilde aus Kälte und Licht. Dann legt sich der Wind. Hier dringt noch ein Rascheln aus dem Gagelstrauch, dort das Knacken eines toten Holzes von jenseits des Grabens, hinter dem alles aufzuhören scheint, die Kinderspiele, die Sommerversprechen, der Herbst mit seinen hinfälligen Geräuschen, hüben wie drüben das Verstummen aller Echos unter der dünnen Eisschicht, die sich über Nacht auf dem Wasser gebildet hat, ein leises Glucksen darin, aufsteigende Gase, ein winziger Hohlraum unterm Eis, die Augen des Winters. Schließlich das Starren der Blasen in den blinden Himmel, das Klagen der Krähe, die mit einem Stück Aas im Schnabel aus den Binsen stößt, ihr schwerer Flügelschlag, die schwindende schwarze Spur in den Schneewolken, und dann nichts mehr, nur noch Stille, die langsam, ganz langsam zu fallen beginnt.
So erinnerst du mich in deinem Buch: den Beginn des Schneesturms, als sie Marga abholten, unter einem kreiselnden Licht, das noch lange in der Dunkelheit flackerte, blau und stumm. Es war nicht nötig gewesen, das Martinshorn wieder einzuschalten, kein Wagen stellte sich auf der nächtlichen Landstraße in den Weg, niemand fuhr in Fenndorf nach zehn Uhr abends noch irgendwohin. Sie haben sie weggeschafft, still, diskret, fast heimlich, als würden sich selbst noch die Sanitäter ihrer schämen. Einer von ihnen zog ihr die graue Wolldecke bis zum Hals. Doch alle haben ihr erloschenes Gesicht gesehen, fahler noch im Blaulicht, das eine Zeitlang im Hof wirbelte und jedes Mal, wenn es die Scheunenwand streifte, in den Scheiben aufgleißte, wegen der Bruchstelle im Glas wie gezähnt, als wollte es sich ins Innere vorbeißen und die Blicke auf Margas Arbeitstisch lenken, ins Zentrum der Tragödie, um die herum sich die Dörfler gerottet hatten, Spalier standen und auf die Trage glotzten.
Die Schatten der Männer, die sich über sie beugten, sprangen riesenhaft über die Mauern, wenn das Sirenenlicht die Körper erfasste. Sie trugen rote Schutzanzüge mit silbernen Reflektorstreifen, die in den Lichtsalven aufblitzten und noch heute deine Träume befeuern, in denen Marga wieder in der Scheune sitzt, malt oder wenigstens zu malen versucht oder doch nur hockt, starrt und säuft, bis die letzte Flasche in die Ecke rollt, zusammen mit einer verlorenen Tablette, und die weiße Leinwand sich vor ihren Augen zu krümmen beginnt und in Flocken zerfällt, Schnee, der den Sturm entfesselt. Doch zerrt nicht der Wind, der in jener Nacht wieder aufgekommen war, rückblickend viel stärker an dir, als du es damals tatsächlich empfandst?
Irgendwann war das Blaulicht in der Ferne verzuckt. Die Herumstehenden kehrten in die Häuser zurück, ihre von den Kapuzen vermummten Gesichter wandten sich noch einmal nach dir um, so dass du zu Boden blicktest, auf deine nackten Füße unterm Schlafanzugsaum, die bereits die Farbe und ein Gefühl wie von Eis angenommen hatten. Nur MarianneLambert stand noch neben dir. Heute beschreibst du die Tante kleiner und gebeugter, als damals der Junge sie gesehen
Weitere Kostenlose Bücher