Moor
das Moor sich von seiner feindseligsten Seite gezeigt, dir also mit Regen und Graupelschauern die Erkundungsgänge verhagelt hat, bist du damals, in diesem späten Oktober, viel in der Ritze gewesen. Doch auch die sei dir nun anders erschienen, weiter, schreibst du in deinem Buch, langweiliger, kein enger Schlund mehr in unbegreifliche Tiefen, nur ein Spalt, der sich langsam zum Fußendehin öffnete, ein Grab für Staub, Spinnen, vertrocknete Popel, Kindheitsrätsel.
Draußen stieg mit dem anhaltenden Regen das Wasser, drückte aus dem Drän auf die Äcker, gluckste bei jedem Schritt unter den Schuhen, lauerte überall. Der Teich war angeschwollen, eine metallisch schimmernde Beule zwischen den Torfrippen, das Wollgras platt, die Erlen abgesoffen. Lamberts Knecht legte Bretter und Bohlen aus, damit der Trecker in den Mulden nicht einsackte. Aus dem Heidedamm wurde ein Pfützenband, dann ein trüber See, der sich langsam ans Haus heranfraß. Du sahst die Brühe im Keller sickern und schwappen, dann war das Klo verstopft, deine Kacke ging nicht mehr runter. Du hast dich dafür geschämt und fortan das große Geschäft in der Schule, den Rest hinter der Scheune erledigt, wo der Regen spülte und spülte.
Wann Marga schiss? Vielleicht gar nicht mehr bei den paar Happen, die sie noch aß. Sie qualmte jetzt auch beim Essen, in einer Hand den Löffel, in der anderen die Fluppe, aber das kanntest du schon von früher, aus den Tagen, wenn sie langsam versteinerte, bis du den Mutterbrocken die Treppe hochschaffen musstest. Manchmal verwechselte sie Besteck und Zigarette; sie spitzte die Lippen, klemmte dann aber statt des Filters den Löffel dazwischen oder biss auf die Kippe. Du hast dich am Lachen verschluckt und den Messergriff ins Nasenloch gebohrt. Deine Mutter wird debil, lallte sie und machte auf Idiot. Du hast erleichtert genickt und weitergefuttert.
Genaugenommen war alles wie immer gewesen. Aber gerade dieses Immer hat sich in deiner Erinnerung mit den Jahren mehr und mehr verändert. In jeder von Margas altbekannten Gesten, in all ihren so oft gehörten Witzen, überdie du lachtest, weil du schon immer darüber gelacht hattest, in jedem Blick deiner Mutter siehst du heute das letzte Mal.
Auch Karl Lambert schien das Finale nicht verpassen zu wollen. Er stand plötzlich im Flur, mit Schirmmütze und im Overall, als wollte er in den Stall. Was hat sie?, brummte er und deutete ins Zimmer. Das Zeug hat sie geschluckt, sagte Marianne und schmiss ihm die Tablettenschachtel hin. Er warf einen Blick darauf und zeigte zu dir: Ich hab seinem Vater damals gleich gesagt, dass die nichts taugt. Deine Tante baute sich vor ihm auf, ein Schwall Wasser spritzte aus dem Eimer auf den Boden. Beide nun bildfüllend, fast überlebensgroß, die fahlen, von Müdigkeit und Fragen entstellten Gesichter, talgige, auf Karls Wangen pockennarbige Haut, die Haare wirr, an Mariannes Schläfen bereits ergraut. Dass sie zur Hölle fahren soll, hast du gesagt, zischt sie, und dein Bruder gleich mit!, und sie macht eine fahrige Bewegung zum Bildrand, halb nach vorn, halb in die Höhe, in einen imaginären Himmel. Dann ist sie plötzlich weg und Karl allein. Der lehnt sich gegen den Türrahmen und sinkt ein Stück in die Knie. Im Bad jetzt das Gurgeln der Klospülung, einmal, dann, nach ein paar Sekunden, ein zweites Mal; die Kotze der Mutter, die verseuchte Verwandtschaft das Rohr runter und weg. Aber das Klo, denkt der Junge in der Ecke, ist doch verstopft, und er sieht in Gedanken das schwarze Wasser über die Schüssel schwappen und das Moor hinein in das Haus.
Als Marianne mit einem Handtuch wiederkam, ging sie wortlos an Karl vorbei. Mall im Kopf ist sie gewesen, rief der ihr hinterher, von Anfang an! Marianne wischte den Bettpfosten ab, dann Margas Mund, schlug das Handtuch auf, es peitschte durch die Luft: Halt endlich die Schnauze, du Arsch! Karl schnellte vor, wirbelte sie herum, du!, rief er, du nennst mich so nicht! Sie hob den Lappen gegen ihn wie eine Waffe. Nee?, höhnte sie, aber ihr’n Arsch – und sie deutete zum Bett –, den find’ste doch nicht übel! Sie riss sich los, taumelte kurz, und ab.
Auftritt des Jungen. Er stolpert aus irgendeinem Winkel zum Bett, direkt in Karls Hände. Der kräftige Leib schwankt unter den Schlägen, die der Bauch abfedert, Fußtritten, die ins Leere gehen, einem Schrei, der in der großen Hand erstickt. Am Ende die Ohrfeige, der ein kurzes Schwarzbild folgt, als hättest du versucht, hier aus
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