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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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der Arbeitswand, eins nach dem anderen aus sehr geringem Abstand. Ganz schön heiß hier, sagte er, was sie ermutigte, beim Toilettengang die langärmelige Baumwollbluse auszuziehen. Als sie zurückkam, fläzte Julius auf der Couch, die Hände im Nacken verschränkt. Er musterte das dünne Trägershirt über ihrer Brust und zog eine Schnute.
    Ob sie eine Strickjacke habe? So ein Oma-Ding, sie wisse schon. Und auf keinen Fall dürfe sie das Haar offen tragen. Er sprang auf und drückte ihr die frisch geföhnten Locken zu einer Art Dutt zusammen, irgendwie so, sagte er und kam noch näher. Die Strickjacke, die einzige, die sie besaß, eine von Chanel, die sie einen viertel Monatslohn gekostet hatte, fand er zu elegant. Hast du nicht noch irgendwas von deiner Mutter? Er fasste ihre Hand und presste seinen Mund zielsicher auf das braune Mal, das sie erst kürzlich entdeckt hatte.
    Jetzt geht’s los, hatte sie gedacht und vorm Spiegel an dem Altersfleck herumgekratzt. Von ihrer Pension, wie sie auf dem letzten Bescheid der Rentenversicherung mit Entsetzen feststellen musste, würde sie nicht einmal eine Kaltmiete bestreiten können, und selbst mit Sozialleistungen wäre sie noch weit davon entfernt, sich hinter den Schutzschilden von Status und Wohlstand gelassen dem Rundumangriff der Cellulite zu ergeben. Julius untersuchte ihren Arm. Mehr nicht?, fragte er, fand das Hautknötchen neben der Achsel und leckte darüber. Sie stieß ihn weg. Was willst du eigentlich?, fragte sie; es sollte überlegen klingen, doch sie hörte ihre Stimme eher flehen. Ich fürchte, so wird das nichts, sagte er, drehte sich um und verließ die Wohnung. Die Türschloss er nicht. Brandgeruch zog herein. Sie trank die Flasche Wein leer, schnupperte an den Rosen, die nicht rochen, setzte sich in den Sessel und starrte an die Arbeitswand, wo Mira, die Nackte, ihr mit dem sich auflösenden Körper aus faserigen Pinselstrichen zu sagen schien: Du hast eben doch kein Talent.
    Die Gewitterfront, die in den nächsten Tagen über die Stadt hinwegzog, brachte Abkühlung. Blitze zuckten stumm am Himmel, ohne Donner, der Dunst schien alle Geräusche zu schlucken, selbst von oben kein Geplapper mehr; wenn sie von der Spätschicht nach Hause kam, flackerte in Frau Schäfers Fenster das bläuliche Licht des Fernsehapparats. Jetzt beunruhigte sie die Stille. Sie ging hinauf und klingelte, die Rentnerin öffnete mit Eidotterspuren am Kinn, bei der Programmsuche hatte sie versehentlich den Ton abgestellt, doch als Marga den Regler zurückdrehte, schien Frau Schäfer den Unterschied gar nicht zu bemerken.
    Im Callcenter trug sie, auch wegen des feuchten Wetters, weite Stoffhosen, Langärmeliges und Zeitloses, was Herrn Dröhmer zu missfallen schien; in seinen Blicken, die durch die Glaswand hindurch zu ihrem Platz wanderten, glaubte sie, Bedauern zu lesen. Als sie Julius auf dem Flur begegnete, schaute er weg. In der Kantine schäkerte er mit der Köchin, einer übergewichtigen Alten, die mit schwieligen Händen labberige Hähnchenschenkel über die Theke schob. Während der Schicht saß er am anderen Ende des Raumes, er war jetzt für die Bestellungen zuständig, sie sah ihn tagelang nur von hinten. Manchmal streckte er die Arme in die Luft, räkelte sich und präsentierte unterm knappen T-Shirt den fest durchmuskelten Rücken, überhaupt der ganze Rumpf wie von einer antiken Skulptur.
    Beim Toilettengang prüfte sie vorm Spiegel ihr Haar. Von der vielen Färberei war es spröde geworden, nur am Ansatz schon dunkler; bis das Blond rausgewachsen war und das Grau sich durchsetzte, würden Monate vergehen. Sie durchstöberte die Regale von Boutiquen, in denen sie zuvor noch nie war, doch auch die Mode für die sogenannte reifere Frau machte auf jugendlich. Die altmodische Strickjacke, die sie zuletzt bei C&A fand, war nur noch in Übergröße vorrätig, die Verkäuferin war dafür extra ins Lager gegangen, trat dann am Spiegel neben sie und riet ihr ab.
    Sie klingelte bei Frau Schäfer. Die Rentnerin erschien in Kittelschürze, durch die champagnerfarbene Nylonstrumpfhose drückten sich blaue Aderwürmer. Ob sie ein paar Sachen zu waschen habe?, fragte Marga, sie sei auf dem Weg zur Reinigung. Frau Schäfer winkte ab. Dann ein zehnminütiges Lamento über die Gelenkschmerzen, die Wohngemeinschaft nebenan, das Fernsehprogramm. Marga versprach einen Ausflug ins Teehaus, in ihrer, Schäfers, schönsten Robe, und drängte sich an ihr vorbei ins Schlafzimmer.
    Aus dem

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