Moor
Kleiderschrank stieg der Muff. Sie durchsuchte alles hastig, prüfte Stoffe und Schnitte. Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, saß Frau Schäfer vorm Fernseher und verfolgte mit trübem Blick eine Talkshow; der Kopfhörer, den sie ihr neulich mitgebracht hatte, lag auf dem Apparat, das Kabel war angeschlossen, aus den gepolsterten Lautsprechern knisterten die Stimmen. Sie habe ein paar hübsche Sachen gefunden, sagte Marga und präsentierte ihre Auswahl. Frau Schäfer klagte über die Tonstörung, schien den versprochenen Ausflug ins Teehaus vergessen zu haben. Marga setzte ihr den Kopfhörer auf, vorsichtig, damit sich der Haarknoten nicht löste.
Am Abend stand sie vor Julius’ Tür. Sie trug einen schweren Rock und eine Strickjacke aus grauer Schurwolle, der Kragen kratzte am Hals. Frau Schäfers BH hatte nicht gepasst, sie hatte zwei zusätzliche Häkchen annähen müssen, war dafür extra nochmal ins Kaufhaus. Julius öffnete mit nacktem Oberkörper. Er atmete schnell, auf den Schultern glitzerte der Schweiß. Technomusik drang aus einem Zimmer, auf dem Flur lagen Hanteln, ein Handtuch auf dem Linoleum. Sie betrat unaufgefordert die Wohnung. Es roch nach Bratfett aus dem Backofen, von Tiefkühlpizza oder Pommes frites. Sie schloss die Tür, die Bässe wummerten ihr ins Hirn, sie wünschte sich Stöpsel, Kopfhörer, irgendetwas Dämpfendes, Stillung; die Lexotax, die sie zuvor geschluckt hatte, zeigten nicht die geringste Wirkung.
Sie fragte nach dem Bad, er machte eine Kopfbewegung. Drin sah sie sich um, durchwühlte sogar den Wäschekorb, fand kein Stück, das eine noch ältere Geliebte hinterlassen haben könnte. Sie wagte es nicht, in den Spiegel zu schauen. Auch das Mieder hatte sie noch umgenäht. Sie drückte den Spülknopf zweimal, ließ dann lange den Wasserhahn rauschen, wollte nicht hören, wie ungestüm ihr Herz in der Schäferbrust hämmerte.
Julius hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Sein Anblick würgte sie jetzt. Er stand da wie ein Götze, glatt, kalt, uneinnehmbar, ein Kunstwerk. Sie ging hin, vor ihm in die Knie. Mit dem Fuß tippte sie eine Hantel an, die träge in die andere Richtung rollte. Alles schien sich abzuwenden; die Kommode kam ihr schief vor, die Schatten flohen in die Ecken, auch das Licht empfand sie plötzlich dunkler, wie in diesen Momenten, wenn eine leichte Schwankung in der Stromversorgung die Glühbirne flackern lässt. Die Musik endete abrupt,der Bass dröhnte in ihren Ohren nach, als wehrte sich ihr Gehör gegen die Stille. Irgendwo draußen ein Martinshorn, es kam näher, wurde bedrängend laut, verstummte plötzlich, als stoppte der Rettungswagen vorm Haus.
Die Trainingshose war aus blauer Ballonseide mit weißen Streifen, die im Lampenschein reflektierten. Sie kriegte den Knoten im Zugband nicht auf. Seine Hände hingen reglos über die Hüften, zu Fäusten geballt. Sie stieß ihre Zunge in seinen Bauchnabel, glaubte, mit dem ganzen Körper hineinzustürzen, so tief schien ihr plötzlich das Loch, bodenlos die Sehnsucht des Künstlers nach dem vollkommenen Bild.
Schließlich zerrte sie den Bund über das Becken. Das Geschlecht duckte sich unter das V-förmig gemeißelte Schambein mit den sorgsam gestutzten Haaren darauf. Es schmeckte salzig. Sie atmete flach den Geruch von Frau Schäfers Schlafzimmer, der aus ihrer Kleidung stieg. Sie hatte nicht an passende Schuhe gedacht und sich am Ende für die flachen Stiefel entschieden, ein Stilbruch. Jetzt klemmte ihr das harte Leder die Fesseln ein. Sie arbeitete umständlich aus der Hocke. Er legte ihr nicht einmal die Hand auf den Dutt. Nach endlosen zwei Minuten war alles noch wie zuvor. Was ist denn los mit dir?, fuhr sie ihn an. Er zog die Hose hoch und packte sich weg. Komm in zehn Jahren wieder, sagte er und ging über dem Handtuch in den Liegestütz.
Nach der Reinigung rochen Frau Schäfers Sachen nach Lavendel. Sie hatte die Duftnote auf dem Auftragsblatt ankreuzen können: Sommerfrisch, Zeder, neutral. Lavendel, hatte sie gedacht, passt am besten zu einer alten Frau, doch jetzt erinnerte sie der Geruch an den Badezusatz, den sie früher, in Fenndorf, oft benutzt hatte. Auch der hatte sie irgendwann zu ekeln begonnen, heute badet sie ganz ohne Schaum. KeinWirkstoff hat ihr je die versprochene Entspannung gebracht.
Frau Schäfer nestelte die Kleidung aus der Folie. Ach, behalten Sie das ruhig, sagte sie, dafür sei sie schon zu alt. Sie trug die Kopfhörer auf den Ohren, der Stecker baumelte in ihrem Schoß.
Weitere Kostenlose Bücher