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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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diese Kuckucksmutter sein, die ihr Ei allzu gern in ein Moorloch geworfen hätte oder zumindest in ein fremdes Nest, nämlich das warme, gut bebrütete von Marianne Lambert, denkt sie, die Dion mit ihrem Mastbusen und dem Achselgeruch ja schwer beeindruckt haben muss.
    Angeblich hat die Schwägerin ihr, Marga, damals nach ihrem Suizidversuch nicht nur das Leben gerettet, sondern ihm, schreibt ihr Junge, später, nach der Adoption, endlich auch die Geborgenheit und Fürsorge zukommen lassen, die ein Kind braucht, um lebensfähig zu werden, und sie knurrtein Lachen zu Mira hinauf, den Butterkuchen!, höhnt sie, das Nackensteak!, den Kirchgang sonntags um zehn!
    Da ist sie ja billig davongekommen, sagt die Gemalte, und Marga denkt, genau!, und dass Marianne, die Geizerin, den Ausbau ihres Schweinestalls zum Schweineimperium schon immer ihren Kindern vom Mund abgespart hat. Sie erinnert sich, wie sie einmal den Kuchen probierte, als Dion eine Platte mit Übriggebliebenem vom Adventsbazar mit nach Hause brachte, staubtrocken war der! Nicht mit Butter, sondern mit Pflanzenfett gebacken. Bei mir aber, belehrt sie die Zweifelnde auf dem Bild, hat es trotz Geldnot stets Butter gegeben! Nicht eher Zimt?, wiegt Mira den Kopf. Pellkartoffeln mit Butter!, widerspricht Marga, Butterstullen als Pausenbrot, gebutterten Kohl, und ihr Zimtkuchen, wenn der hier schon gegen sie aufgetischt wird, war von der Butter stets so saftig gewesen, dass er ihrem Jungen auf der Zunge schmolz, und Mira in ihren spärlichen Farblumpen ruft: Butter bei die Fische!
    Ein Kleiderbügel, liest sie, wäre ja noch etwas gewesen. Eine tiefe innere Verletzung hätte ihm, Dion, schon als Grund gereicht, warum sie im nächsten Moment zu der Lexotax-Schachtel gegriffen, dann aber nur ein paar Pillen in ihre Hand gedrückt und den Streifen halb geleert auf dem Bett platziert habe, wo er ihn finden würde und sollte. Das Einzige, was sie je gekonnt habe, fährt der letzte Satz des Abschnitts sie hasserfüllt an, sei es gewesen, dem Nichts in ihrem Innern ein Schnippchen zu schlagen, für ein kleines, schäbiges Gefühl von Leben, wie ein Junkie, der sich den Schuss setzt.
    Das ist nicht wahr! Sie feuert den Roman in die Ecke, wo er aufgeblättert liegen bleibt und klafft wie ein Maul. Siehat doch immer alles für ihn getan! Alles mit ihm geteilt! Sich für ihn schier zerrissen zwischen Kunst, Kochen und Karriere! Lobende Erwähnung!, ruft sie Mira zu, doch die verzieht nur den dünn gemalten Brauenstrich. Allestopf!, droht Marga und hebt gegen das Werk einen herumliegenden Pinsel, der es mit einem einzigen Hieb vernichten könnte, doch das Porträt zuckt mit den Achseln und sagt: Du hast ihn abgewichst! Sechsbändiges Naturlexikon, fleht Marga zur Ecke hinüber, wo das Buch liegt, und die Sommernacht weht zum Fenster herein und blättert die Seiten um, aus denen das Gleiche noch einmal tönt.
    Dabei hatte sie sich für ihren miserablen Zustand wirklich vor dir geschämt. Versuchte deshalb, es möglichst gut vor dir zu verstecken: ihr ungewaschenes Haar, den sauren Weingeruch ihrer Küsse, die Tränen, die ihr schwallartig übers Gesicht stürzten, das sich, von der Verzweiflung so jäh und maßlos überschwemmt, schon im nächsten Moment wieder zu einer steinernen Maske verschloss, ausdruckslos und kalt, als hätte sie seit Jahrzehnten nicht mehr geweint. Doch wie verbirgt man eine Abwesenheit, das Nichts? Sie probierte es mit Trotz, dazu immerhin konnte sie sich in Momenten noch aufraffen, vielleicht, denkt sie jetzt, war das der Fehler.
    Weil du sie beim Morgenkuss mehrmals weggemault hattest, war sie schließlich deinem Zimmer ferngeblieben. Er ist alt genug, sich den Wecker zu stellen, dachte sie, drehte sich im Bett um und schluckte noch eine Tablette. Die Tadel des Klassenlehrers würden ihn schon wach rütteln, und mit diesem Gedanken stürzte sie wieder ab ins gnädige Schwarz des Betäubungsschlafs. Wieso sie jetzt dafür geradestehen soll?, raunzte sie später und schob den Stift weg, den du ihrauf den Tisch warfst, damit sie den maßregelnden Wisch mit ihrem M. abzeichnete.
    Verhetzt wie sie in diesen Tagen war, ziellos die Leere in ihrem Kopf durchpflügend, immer auf der Suche nach den richtigen Worten für eine Aussprache, verbrannte ihr der Allestopf auf dem Herd. Schweigend und mit gesenkten Köpfen habt ihr vor euren Tellern gehockt. Sobald sie sich räusperte und das Besteck zur Seite legte, erntete sie von dir einen solch verächtlichen Blick,

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