Moor
Geschlinge, bevor Hannes das Kissen darauf wirft, sich umständlich aus demBett hievt, dabei die Decke hinter sich herzieht und auf die Eindringlinge flucht.
Nimm dir Bettzeug aus dem Schrank!, rief Marianne ihm hinterher und haschte nach der Daunendecke, die von seinen Schultern glitt, wobei er mit der Hand auf die Hinterbacke klatschte, was alles heißen konnte, leck mich, einen Scheiß werd ich tun, den Arsch des Kleinen schon noch kriegen. Marianne zischte ein Herrgottnochmal!, stützte sich aufs Bett und strich das Laken glatt. Dann drückte sie dich auf die Matratze und sagte: Schlaf jetzt! Doch statt die Augen zu schließen, reißt der Junge in deinem Buch sie auf und reckt den Kopf in die Höhe, raus aus dem Hannesmief, weg von den Bildern der kollabierenden Mutter, die wieder über ihm zusammenbrechen würden, sobald die Tante das Licht löscht, und er stemmt sich hoch und blickt zum Fenster, wo der Schnee tanzt. Sie mustert den Neffen fragend, als hätte sie noch etwas Wichtiges vergessen, dann beugt sie sich herab und drückt ihm den Gutenachtkuss auf die Stirn, sagt: Du kannst so lange hierbleiben, wie du willst, und ahnt dabei selbst noch nicht, dass es Monate und Jahre sein würden.
Der Junge erwacht von einem Schlag. Das Zimmer ist heller als zuvor, die Dunkelheit weniger tief, der Schnee draußen vervielfacht das Licht, wirft alles in seinen Traum. Am Fußende des Bettes sitzt das Kuscheltier und glotzt ihn an, aus leeren schwarzen Augen und mit offenem Maul. Erst jetzt blickt er auf.
Hannes steht über dir, in einer seltsam verkanteten Haltung, einen Arm hochgerissen, den Kopf gleichzeitig nach unten gestreckt, wie verfangen im Netz der Lichtfäden, die sich vom Fenster aus durch den Raum spinnen. Glaub nicht,dass du jetzt dazugehörst, flüstert er und lässt den Teppichklopfer auf dich herabsausen, stoppt kurz vor deiner Brust. Du zuckst nicht weg, liegst nur da und starrst ihn an. Er kommt noch näher, hebt den Schläger wieder ein Stück in die Höhe und dreht ihn in der Hand, senkt ihn dann bis fast auf die Nasenspitze. Du kannst das Weidenholz riechen, Staub aus den Teppichläufern, den Schmutz seiner Träume. Er presst die Kante auf deine Lippen, du drehst dich langsam aus der Klammer, schwer und taub lastet die Zunge im Mund. Jetzt spürst du das Holzgeflecht über deine Wange streichen, zur Schläfe hinauf, wo er sacht zudrückt. Das Gitternetz ziept im Haar, schnellt dann nach oben, verschwindet für einen Moment aus deinem Blickfeld, es wäre der richtige Zeitpunkt, zu fliehen oder aber rasch wieder einzuschlafen. Doch jetzt willst du wach sein, empfänglich mit allen Sinnen, es sehen, spüren, verstehen: wie der Teppichklopfer wieder herabfällt bis kurz vor die Brust, einer Wünschelrute gleich deinen Körper abfährt, auf der Suche nach der geheimen Stelle, wo der Zauber wohnt. Du zuckst unwillkürlich hoch, öffnest dich schon dem Schlag, als könntest du die Gewalt abfedern, wenn du ihr zärtlich entgegenkommst. Er hebt eine Braue, seine Augen blitzen etwas wie denkste , du sinkst zurück aufs Bett. Wenn du was sagst, bist du dran, flüstert er und schiebt sich den Stock in die Schlafanzughose.
Die Nacht draußen jetzt fast weiß, mit Resten von Dunkelheit an den Rändern. Der Junge steht plötzlich im Fluchtpunkt, sein Umriss schält sich langsam aus dem Hintergrund, Schritt für Schritt schneidet er eine Achse. Sein gedrungener Körper frontal, die nackten Füße in Hannes’ Filzpantoffeln, die ihm zu groß sind und beim Laufen imSchnee stecken bleiben; noch ein, zwei Jahre, und er wird sie ausfüllen, morgens hinein- und abends wieder herausschlüpfen, um sie auf ihren Platz am Bettfuß zu stellen, alle bei den Lamberts machen das so.
Das Kind dreht sich erschrocken um, als fürchte es einen Verfolger. Im Hintergrund das langgestreckte Bauernhaus mit den Rippen der angegliederten Ställe wie der Kadaver eines riesenhaften, im Schnee verendeten Tieres. Die Spur führt zurück zum Hof, verrät seine Flucht. Er überlegt, ob er in der Eile die Haustür zugezogen oder, um das Geräusch zu vermeiden, nur angelehnt hat; der Wind würde sie erfassen, gegen die Wand schlagen und Marianne aus dem Schlaf reißen. Sie wittert den kalten Luftzug, das leere Zimmer nebenan und rüttelt ihren Mann wach, der sich stöhnend das Kissen über den Kopf zieht, genervt von der Familientragödie, die einfach kein Ende nimmt.
Jetzt verschwindet der Hof hinter einer Wand aus Schnee, die aus dem Moor
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