Moor
mich aufs Ohr. Dann schick ich eben Hannes, ruft sie ihm hinterher, und von oben: Der soll den Brühkessel saubermachen.
Doch Hannes will nach der Schule zum Pfarrhaus. Mit den Hausaufgaben für Tanja hättest du ihm zuvorkommen können. Erst hat dein Banknachbar Benno Fendrich wegen der Grippe gefehlt, dann Tanja, schließlich hast du auch Hannes nicht mehr auf dem Pausenhof gesehen, was dir verdächtig vorkam. Machten sie etwa zusammen krank, liebesfiebernd mal in seinem, mal in ihrem Zimmer? Bald klafften in den Bankreihen große Lücken. Beim Reihumvorlesen bist du gleich zweimal drangekommen, das achte Schuljahr war jetzt schon die Hölle. Für Benno solltest du die Übungsblätter einstecken, doch nach Unterrichtsschluss bist du nicht ins Neubaugebiet zum Bungalow des Konrektors, sondern mit der Hausaufgabenmappe in der schwitzigen Hand vor das Pfarrhaus.
Kaum hattest du geklingelt, sprang schon die Tür auf. Frau Deichsen schien außer Atem, in der Diele stand ein Putzeimer auf dem Boden, das Wasser schwappte. Du hast den Mund aufgeklappt und dabei einen Schritt auf die Schwelle getan. Tanjas Mutter schob den Fuß vor und sagte: Vorsicht, nass! Der Hund sei noch immer nicht stubenrein, seufzte sie und packte den Welpen am Halsband, der über den frisch gefeudelten Boden schlitterte und an deinem Schuh schnuppern wollte. Ronja, aus!, rief Frau Deichsen, Ronja, komm her!, die Tochter aus irgendeinem Zimmer. Der Hund sprang an deinem Bein hoch und schnappte nach der Mappe. Pfui!, tadelte Frau Deichsen, und nach hinten ins Haus: Tanja, sie hat schon wieder hingemacht! Der Welpebellte mit dünner Stimme. Da hast du dich aus dem Chaos der durch die Luft peitschenden Rufe weggeduckt und bist runter zum Hund, der am Heft zu knabbern begann. Hallo Honja, kam es dir kaum hörbar über die Lippen. Ronja, verbesserte Frau Deichsen, und Tanja rief und rief.
Du hast etwas von den Hausaufgaben gehaucht, zum Glück hatte der Satz ein H. Das ist nett von dir, Dion, sagte Tanjas Mutter, aber Danny habe bereits alles gebracht. Wenn sogar die Pfarrersfrau schon log! Daniela hatte sich nämlich kurz nach Schuljahresbeginn neben Yvonne gesetzt, die Tochter des Wirts, die nun auch kein Wort mehr mit Tanja sprach. Bestimmt, dachtest du, hockt in Wahrheit Hannes neben ihrem Bett und hält ihr die fieberheiße Hand. Der Welpe grätschte sich hin und pisste dir auf den Schuh. Frau Deichsen pflückte ihn vom Boden, schimpfte und lachte gleichzeitig: Das macht sie vor Freude! Da bist du rückwärts durch die Glückspfütze in das Beet mit den abgeblühten Dahlien, über den Kirchplatz und hinter die Mauer, wo dir endlich der Fluch über die Lippen platzte, weil du dort das Mofa stehen sahst, aufgebockt unter Tanjas Fenster. Dumm gelaufen, Dion, zur Räuberleiter taugt dein klappriges Fahrrad kaum.
Das alles vor drei Tagen, als Marga noch zu Hause und in deiner Welt das Lebensnotwendige an seinem Platz gewesen ist. Jetzt reiße ich mit der nächsten Bö die Plane vom Holzstoß. Sie fegt über den Hof, schlackert eine Weile am Zaun, dann ist sie weg. Bald wird das Holz so durchnässt sein, dass du den Kachelofen nicht mehr anheizen kannst. Nach dem Schnee schicke ich Regen, dann wieder ein Sturmtief, gefolgt von strengem Frost, so geht das bis Ende März. Du bist fertig, Dion, warst am Ende schon immer der Gearschte. Deine Mutter liegt auf der Intensivstation, kommt danach in diePsychiatrie zu den anderen gescheiterten Selbstmördern, an Weihnachten hat sie schon fünf Kilo mehr auf den Hüften. Weil die Pillen sie zwar fett, aber nicht fröhlicher machen, kabeln die Ärzte sie nach Neujahr an das Elektrokrampfgerät. Dein Onkel kriegt im Februar das Ja vom Ministerium und eine Fördersumme, von der sich Marianne erst einmal den langersehnten Kombi kauft. Daniela angelt sich beim Adventsbazar, wo sie mit Yvonne Glühwein ausschenkt, den volltrunkenen David Voss, der tags darauf in der Umkleidekabine den staunenden Kumpels erklärt, was ein Tittenfick ist. Selbst schuld, Dion, dass du dir Tanja am Badestrand nicht einfach geschnappt, sie einen Sommer lang nur mit Augen förmlich ausgezogen hast, und kein Wunder, dass sie dich deshalb auf Abstand hält; zwar genießen die Mädchen die scheuen Blicke der Jungs, doch auch das kleinste und kränkste unter ihnen will nicht nur begafft, sondern irgendwann auch mal geküsst werden.
Auf dem Heuboden und manchmal auch samstags in der Sakristei, weil dort für den Gottesdient schon vorgeheizt ist
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