Moorehawke 01 - Schattenpfade
leicht gerötet von der Bewegung und der frischen Luft, die Augen wach und klar, leuchtend vor Freude. Wynter sah ihm an, dass er die Welt hinter sich gelassen hatte. In diesem Moment gab es für Razi nur noch dies: seinen eigenen Körper, dieses riesige Tier und ihr harmonisches Zusammenwirken. Es war wie ein Tanz und auch ebenso schön anzusehen, und Wynter konnte sich nicht überwinden, sie zu unterbrechen.
Also lehnte sie sich an die Ecke der Gassenmauer und sah sich nach den Wachen um, die hier postiert waren. Da fiel ihr Blick auf einen hellen Farbfleck auf der gegenüberliegenden Seite des Reitplatzes. Sie richtete sich auf und sah genauer hin: Es war die orangefarbene Katze. Dieselbe, die sie in der Nacht des ersten Anschlags auf Razis Leben aufgesucht hatte.
Das Tier hockte auf einem Zaunpfosten und betrachtete Razi mit berechnender Miene. Einer der Knechte bemerkte es; stirnrunzelnd hob er einen Stein auf und schleuderte ihn. Er verfehlte die Katze nur knapp und traf den Holzpfosten unmittelbar unterhalb der ordentlich verschränkten Pfoten, doch sie erschrak nicht, zuckte nicht einmal. Sie bedachte den Knecht lediglich mit einem verächtlichen Blick, stand auf, schüttelte sich und sprang wie aus freien Stücken vom Zaun. Der Knecht starrte ihr nach, bis sie außer Sichtweite war.
Nun wandte sich Wynter wieder dem Übungsplatz zu – gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die große Stute den Kopf zurückwarf und Razi der Zügel aus der geschwächten rechten Hand glitt. Die plötzliche Unterbrechung der Verbindung zwischen ihnen ließ das Pferd scheuen, es trippelte zur Seite und machte einen Satz, woraufhin die Knechte mit rudernden Armen das Weite suchten wie aufgescheuchte Krabben.
Razi war ein zu guter Reiter, um sich abwerfen zu lassen. Er nahm beide Zügel in die linke Hand und presste seine Oberschenkel fest in die Pferdeflanken. Dann zwang er die Stute in einen engen Bogen und sprach besänftigend auf sie ein, bis sie mit rollenden Augen unter ihm zum Stehen kam.
Aufrecht und gebieterisch saß er im Sattel, bis das Pferd wieder ruhig war. Doch dann erschreckte er Wynter, indem er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht nach vorn krümmte, den rechten Arm schlaff an der Seite hängend, die Hand kraftlos und weiß auf dem staubigen Stoff seiner Hose.
Sie wollte schon vortreten, da sagte eine Stimme hinter ihr: »Habt Ihr keine Arbeit zu erledigen, Hohe Protektorin Moorehawke? Holz abzuschleifen? Fremde Tischler zu schelten?«
Sie wandte sich um und fand sich dem glatten, schmucken Simon de Rochelle gegenüber. Er lächelte sie unfreundlich an und sah ihr einen Moment lang in die Augen, bevor er an ihr vorbei auf den Übungsplatz trat.
In der kurzen Zeit, die der Knecht brauchte, um zu ihm zu eilen und die Zügel der Stute aufzunehmen, hatte sich Razi bereits wieder gefangen, sein kurzer Schwächeanfall war vorüber. Es machte Wynter traurig, die unnahbare, höfische Maske erneut auf sein Gesicht gleiten zu sehen. Er schlüpfte
aus den Steigbügeln und schwang das Bein über den Rücken der Stute. Ohne Hilfestellung glitt er zu Boden, landete sicher und weich auf den Füßen und nickte, als er de Rochelle auf sich zukommen sah. Dennoch sah Wynter, dass er die Finger der rechten Hand abwechselnd streckte und ballte.
Razis volle Aufmerksamkeit galt dem Ratsherrn, er bemerkte Wynter überhaupt nicht. Sie biss sich auf die Lippe und hielt sich abseits, sie wollte nicht im Beisein de Rochelles mit Razi sprechen.
»Was für Neuigkeiten?«, hörte Wynter Razi fragen.
»Er hat alle verhaften lassen. Männer, Frauen und Kinder.«
Razis Kiefer traten hervor, er wandte den Kopf ab.
»Fürst …«, wollte de Rochelle fortfahren, doch Razi warf einen warnenden Seitenblick auf die Wachen.
»Simon!«, zischte er.
Sofort drückte de Rochelle den Rücken durch und holte hörbar gereizt Luft. »Eure Hoheit«, verbesserte er sich.
Razi senkte den Kopf, drehte sich um und führte den Ratsherrn von Wynter fort, die er im Schatten der Gasse immer noch nicht entdeckt hatte.
»Guter Mann«, raunte Razi. »Ihr müsst daran denken. Ich möchte nicht erleben müssen, dass Ihr wegen Eurer Unachtsamkeit die ölige Zunge verliert.«
De Rochelle kicherte und zog den Kopf ein.
Trotz allem öffnete Wynter den Mund, um Razi anzusprechen, da ließen seine nächsten Worte sie innehalten. »Wenn der König eine Säuberung beginnt«, er tippte sich mit der Peitsche auf den Oberschenkel, »wird das seinem Ansehen beim
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