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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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derselben zittrigen Erleichterung wie vorhin, als Marni ihre Törtchen kampflos dem Hungrigen Geist überlassen hatte. Matt ließ er sich gegen den Tisch sinken, hielt sich die Hand an die Stirn. Er wirkte erschöpft, und erst als er murmelte: »Guter Mann, unser Rory. Anständiger Kerl«, begriff Wynter, dass sein Zorn nicht gegen sie gerichtet gewesen war, sondern gegen Rory Shearing – aus Furcht, er könnte mit ihr gesprochen haben.
    »Was geht hier vor, Razi?«
    Er hob den Blick und sah sich erneut in der Küche um, antwortete aber nicht.
    »Razi?«
    Jetzt legte er den Kopf schief, stützte die Wange in die Hand, und Wynter bemerkte, dass er seinen Mund vor den Blicken der Umstehenden abschirmte. »Wynter. Es gibt keine Geister mehr.« Er sah ihr eindringlich in die Augen. Was er ihr hier und jetzt mitteilte, war wichtig, ungeheuer wichtig, begriff Wynter. Es ging um Leben und Tod. »Vater hat es verfügt. Und so muss es sein.«
    Sie lachte ungläubig, blickte sich verstohlen um, beugte sich näher zu ihm und musterte ihn forschend. »Was …«
    »Hör mir zu. Hör zu. Es gibt keine Geister. Verstehst du? Jeder, der etwas anderes behauptet, jeder, der Umgang mit ihnen pflegt … kommt an den Galgen. «
    Mit einem entrüsteten Schnauben lehnte sie sich zurück. »Razi, das ist nicht komisch, ehrlich, ich kann nicht fassen, dass du so was komisch …«
    Er zog sie an der Hand zu sich heran. »Es ist mir ernst.«

    Wynter riss ihre Hand weg und rieb sich das Gelenk. »Das sind Gerüchte, sonst nichts. Razi, sieh es doch ein! Das sind Feinde deines Vaters, die Lügen verbreiten. Der König würde niemals …«
    »Auf welchem Weg bist du zurückgereist? Über die Berge, ja? Durch die Wälder? Weit und breit nichts als kleine Dörfer, Holzfäller und Wildschweine, habe ich Recht?«
    Sie nickte zweifelnd und rieb sich weiter das brennende Handgelenk.
    »Ich kam über die Port Road, vorbei an allen wichtigen Städten. An jeder Wegkreuzung stehen Galgen. Es gibt Käfige , Wynter. Vater hat die Käfige wieder eingeführt, und die Menschen scheinen mehr als willens, sie zu benutzen.«
    O Gott! Galgen und Käfige? Hier, wo sie seit dem Tag, an dem Jonathon den Thron bestiegen hatte, verboten gewesen waren? Nein. Nein, nein, nein!
    Seit ihrem Aufbruch gen Norden hatte sich Wynter an den jähen Geruch verwesenden Fleisches in der Luft gewöhnt, daran, hinter einer Wegbiegung unvermittelt einen zerlumpten, hinter Eisengittern im Wind schaukelnden Leichnam vor sich zu haben. Doch nie und nimmer hätte sie geglaubt, so etwas hier vorzufinden. Niemals.
    Selbst zu Beginn der Aufstände, als die Adelskreise den König drängten, eine Inquisition einzurichten, hatte Jonathon der Versuchung widerstanden. »Der einfachste Weg, ein Volk zum Hass zu erziehen, ist der, es durch Folter zu unterwerfen«, hatte er gesagt. »Glückliche Menschen sind ausgeglichene Menschen. Man gewinnt mehr Herzen und Köpfe durch Gerechtigkeit, als man es je durch die Peitsche könnte.«
    »Oh, Razi«, flüsterte Wynter. »Was ist hier nur geschehen?« Da fiel ihr etwas ein, alarmiert kniff sie die Augen zusammen.
Razi zuckte leicht, ahnte, woran sie dachte. Plötzlich fühlte sich ihr Hals ganz trocken an, und sie musste schlucken. »Wo sind meine Katzen, Razi? Am Burggraben habe ich ein fremdes Tier getroffen, und es wollte nicht einmal meinen Gruß erwidern.« Bei Razis Blick sank ihr der Mut; er konnte ihr nicht einmal richtig in die Augen sehen, sondern wandte den Kopf ab, als suchte er nach Worten, um eine furchtbare Nachricht zu überbringen.
    »Niemand spricht mehr mit Katzen, Schwester. Bitte, bitte , erwähne sie niemandem gegenüber.« Jetzt sah er sie wieder an. »Bitte.«
    »Aber warum?«, raunte sie, doch fast im selben Moment hob sie abwehrend die Hand. Eigentlich wollte sie es gar nicht wissen. Jonathons Königreich war das letzte in den gesamten Europas gewesen, in dem Katzen noch mit Menschen sprachen. Überall sonst hatten Furcht und Aberglaube einen Keil zwischen die beiden Arten getrieben, der nur noch die grundlegendste Form der Verständigung zuließ. Dort oben im Norden hatte Wynter viele, viele Dinge vermisst, darunter nicht zuletzt ihre Katzen und deren eigenartige, nicht-menschlichen Gespräche.
    Mit zusammengepressten Lippen starrte sie auf die Tischplatte, und Razi wartete geduldig, bis sie fragte: »Was ist passiert?«
    Er nahm ihre Hand, dieses Mal sehr sanft. »Die ganze Geschichte kenne ich nicht, Wyn. Offen gestanden weiß

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