Moorehawke 01 - Schattenpfade
ging neben dem Bett in die Hocke. »Mein Freund, es scheint, als gäbe es nicht genug Medizin auf der Welt, um Euch zum Schlafen zu bringen. Ihr habt offenbar die Konstitution eines Wasserdrachen.« Beide glucksten, und Razi fuhr mit schwachem Lächeln und deutlicher Rührung in der Stimme fort: »Ich flehe Euch an, im Bett zu bleiben.« Er nahm Lorcans Hand. »Ich flehe Euch an! Bitte versprecht mir, dass Ihr im Bett bleibt. Werdet Ihr das für mich tun? Gestattet Ihr mir, mich wenigstens in dieser einen Angelegenheit nicht sorgen zu müssen? Nur in dieser einen Sache? Bitte?«
»Ich schwöre es«, entgegnete Lorcan leise.
Dankbar schloss Razi die Augen, drückte Lorcans Hand und stand auf.
»Chris«, wandte er sich an seinen Freund. »Von nun an lässt du alle Türen verriegelt. Wenn es klopft, machst du nur auf, falls du Wynters oder meine Stimme hörst. Und du nimmst kein Essen an, das nicht Wynter oder ich selbst dir bringen. Ich bitte dich inständig – verlass auf keinen Fall deine Kammer.« Ernst sahen sie einander an, Christopher wirkte beinahe verärgert. » Christopher! «, drängte Razi, woraufhin sein Freund seufzte, sich abwandte und stumm nickte.
»Also gut.« Razi wollte schon gehen, bemerkte dann aber, dass Wynter ihn vom Kamin her nicht aus den Augen ließ.
»Und was ist mit dir, Razi?«, fragte sie still.
Er schnaufte kurz, das verzerrte Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück. »Was soll mit mir sein?«
»Wer wird auf dich achtgeben?«
Darauf hatte er keine Antwort.
»Glaubst du wirklich, Jonathon wird seine Zustimmung geben und dich nach Padua reisen lassen?«, fragte Lorcan.
Razi runzelte die Stirn, als könnte er Lorcans Worten nicht ganz folgen. Christopher sah sich seine Verwirrung kurz an, dann zog er durch ein theatralisches Seufzen alle Blicke auf sich und erhob sich steif. Langsam durchmaß er den Raum und klopfte Razi im Vorbeigehen auf die Brust.
»Wenn ich auf dem Weg nach Afrika bin«, erklärte er, »bist du auf dem Weg nach Padua. Richtig?«
Razis Miene erhellte sich wieder, und er blickte Christopher nach, wie er aus dem Raum humpelte. Man hörte das Schaben der Holztafel mit dem Cherub, und dann lauschten alle den mühseligen Schritten durch den Geheimgang.
»Was wirst du in Padua tun?«, fragte Wynter, als die Fremdheit dieses Augenblicks verflogen war. »Jetzt, wo sich alles verändert hat?«
Razi schüttelte sich kurz und atmete tief durch. »Ach, du weißt schon!« Er wedelte spöttisch mit der Hand. »Studieren. Mich der Heilkunst widmen. Meuchelmördern aus dem Weg gehen. Aus der Ferne beobachten, wie mein Vater sein Königreich zerstört. Derlei Dinge.«
»Du gibst dich geschlagen«, stellte Lorcan ungerührt fest.
Razi blitzte ihn an. »Was sollte ich denn sonst tun?«, fragte er verbittert.
Lorcan senkte die Augen.
»Und Alberon?«, wisperte Wynter.
Razis Augen wurden kalt, seine Züge verhärteten sich. »Was ist mit ihm?«, fragte er herausfordernd, drehte sich um und ging. Auch er nahm den Geheimgang, um Christophers Gemächer vor den Augen der Wachposten wieder durch die Eingangstür verlassen zu können.
Wynter stand in der glühenden Hitze von Lorcans Schlafkammer und horchte auf das Öffnen und Schließen der Türen nebenan. Schließlich wurde der Riegel wieder vorgeschoben. Sie warteten, ob Christopher zurückkäme, doch zu ihrem Bedauern hörten sie, wie die Geheimtür in Christophers Kammer zugeschoben wurde und einrastete. Heute Abend gäbe es keine Kartenspiele, keine fröhlichen Gespräche.
»Wynter …«
Sie schrak zusammen und stellte fest, dass sie in Gedanken abgeschweift war. Jetzt richtete sie den Blick auf das ernste Gesicht ihres Vaters. »Es wird Zeit, deine Flucht zu planen.«
Der erste Schritt
Der Wald brannte lichterloh, ein gleißendes, in den Nachthimmel züngelndes Inferno. Funken und Sterne vermengten sich in der Dunkelheit. Die großen Baumstämme zischten und prasselten, das Holz barst in der Glut, und bei jedem lauten Knall schrak Wynter zusammen. Es war ohrenbetäubend, die Hitze maßlos. Das tiefe Pochen unsichtbarer Trommeln hallte in ihrer Brust wider. Kräftige Männer und große Frauen bewegten sich ruhig vor dem Hintergrund der flackernden Flammen.
Neben ihr stand Christopher. Er war nackt und schmutzig, verblasste gelbliche Prellungen übersäten seinen Körper wie die Flecken eines Leoparden. Seine Schlangen-Armreife waren verschwunden. Er starrte in die Funken, die in den Himmel flogen, um dort oben
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