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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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den königlichen Gemächern entfernt, und es war, als hätte jemand einen unsichtbaren Kreis gezogen und verboten, ihn zu betreten. In der Mitte dieses weiten Runds wie beiläufig zugewandter Rücken stand Razi. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, gestattete sich jedoch bei seinem Anblick eine kurze Atempause und ein erleichtertes Aufseufzen. Er zupfte an der Schulter seines langen Purpurmantels und machte sich eben bereit, die königlichen Gemächer zu betreten. Stirnrunzelnd bemerkte sie, dass sein rechter Ärmel leer und schlaff herunterhing.
    Alle beobachteten sie verstohlen aus den Augenwinkeln,
als Wynter von hinten an den nichtsahnenden Razi herantrat, sich höflich räusperte und mit klarer Stimme sagte: »Ich bitte um Verzeihung, Eure Hoheit versperrt den Weg zur Tür.«
    Als er sich umwandte, konnte Wynter es nicht unterdrücken – ihr entfuhr ein bestürztes Quieken.
    Razi! Oh, Razi, was hat er mit dir gemacht?
    Er musterte sie kühl, und sie musste sich geradezu zwingen, den Mund wieder zu schließen. Sie brauchte einen Moment, um sich an ihren Hofknicks zu erinnern, und verharrte länger als nötig darin, bis sie die Beherrschung über ihre Miene zurückgewonnen hatte. Dann erst richtete sie sich auf und sah Razi mit unterdrücktem Zorn an.
    Wenn ich dem König das nächste Mal begegne, dachte sie, sollte er beten, dass ich unbewaffnet bin .
    Razis Gesicht war grün und blau geschlagen, die Lippe aufgeplatzt, ein Auge blutunterlaufen. Den rechten Arm hielt er fest an die Brust gepresst, und er bewegte sich steif, als hätte er überall Schmerzen.
    Mit vor Wut getrübtem Blick sah Wynter ihm in die Augen. Ich werde Jonathon umbringen, dachte sie. Ich werde sein eigenes Schwert nehmen und …
    Zu Wynters größtem Erstaunen zwinkerte Razi ihr zu. Er verneigte sich ungelenk und flüsterte ihr, als sein Lockenkopf auf einer Höhe mit ihr war, zu: »Du solltest erst den König sehen, Schwesterherz. Er kann nicht einmal gerade laufen.«
    Mit einem triumphierenden Lächeln richtete er sich wieder zu voller Größe auf und verzog die blutige Lippe zu einem strahlenden Grinsen. »Hohe Protektorin«, sagte er vernehmlich. »Ich habe Euch lange nicht gesehen. Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, mich in die königlichen Gemächer zu begleiten?« Er bot Wynter den Arm, und sie ergriff ihn benommen.
Gemeinsam wandten sie sich der Tür zu, und als der Page sie einließ, verkündete Razi so laut, dass man es im ganzen Gang hören konnte: »Habe ich Euch schon erzählt, dass ich nach Padua gehen werde …«

Der aufsässige Geist
    Rory?« Wynter hielt die Stimme gesenkt und spähte aus Furcht vor neugierigen Blicken die Allee hoch und runter. Es war nun vier Tage her, seit sich Razi die Erlaubnis beschafft hatte, den Palast zu verlassen, und immer noch keine Spur von Rory Shearings Geist oder der Auskunft, die er versprochen hatte. Allmählich lief ihnen die Zeit davon.
    Morgen früh würde Christopher aufbrechen. Zwei Tage später wäre Razi fort, und am selben Tag musste auch Wynter ihrem Vater Lebewohl sagen. Bei dem bloßen Gedanken daran wallten schmerzliche Gefühle in ihr auf, doch sie schob sie sorgfältig zurück in die Magengrube. Dort wirbelten und wogten sie weiter, Wynter ließ sich davon jedoch nicht beirren. Sie hielt ihr Inneres so eisern verschlossen wie einen Kerker.
    Ungeduldig wartete sie auf das Flimmern der Luft, das Rorys Eintreffen ankündigen würde, doch alles blieb ruhig. Er hatte ihre Rufe nicht gehört. Sie seufzte und biss sich enttäuscht auf die Lippe.
    Alles war vorbereitet: Razi hatte die vergangenen Tage damit verbracht, Christopher für seine lange Reise in den Maghreb auszustatten. Neben Christophers eigenem Pferd hatte Razi ihm noch zwei weitere Pferde sowie ein schwer bepacktes Maultier besorgt. Sich nicht an der Vorbereitung seines
langen Ritts beteiligen zu dürfen, hatte Christopher über die Maßen geärgert, aber Razi glaubte, es sei zu gefährlich für ihn, seine Gemächer zu verlassen. Je mehr Tage verstrichen, desto weniger fand sich Christopher mit diesem Gebot ab.
    Unterdessen hatten Wynter und Marni im Stillen alles Nötige für Wynters eigene geheime Reise beiseitegeschafft. Alles ging glatt und rasch voran, und nun benötigte sie nur noch diese Auskunft.
    Erneut sah sich Wynter auf der Allee um. Es war spät; staubiges Abendlicht fiel schräg durch die Kastanien, und die Krähen und Raben des Kerkers krächzten schläfrig und raschelten in den Zweigen. Eben hatten die

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