Moorehawke 01 - Schattenpfade
seufzte. »Wir sollten alle zu Bett gehen.«
Erneut nickte Christopher und wollte zurück in Lorcans Kammer gehen.
»Christopher!« Razis Stimme klang scharf. »Jetzt.«
»Ich schlafe hier.« Er deutete auf die Kissen am Fußboden. Razi schnaubte ungeduldig. »Du musst gut schlafen, damit du morgen ausgeruht bist«, verlangte er. »Geh in dein eigenes Bett.«
Unvermittelt machte Christopher einen Schritt über die Schwelle und legte Razi eine Hand auf die Brust. Er sah ihm ärgerlich in das strenge Gesicht und erklärte mit fester Stimme: »Jetzt hör mal, Razi Königssohn. Zum hundertsten Mal: Ich bin kein kleines Kind. Ich schlafe hier, auf diesen Kissen dort.« Sanft umschloss er Razis Hemd mit der Faust und rüttelte daran, ohne den Blick abzuwenden. »Und jetzt Schluss damit.«
Razis Miene wurde weicher, er fügte sich. Christopher lächelte ihn an. »Weißt du …«, begann Razi leise. »Es könnte sein, dass ich … dass ich morgen nicht kommen kann … Mein Vater …«
Ein gequälter Ausdruck trat in Christophers Augen, doch er tätschelte seinem Freund verständnisvoll die Brust. Bevor er die Hand wegziehen konnte, hielt Razi sie fest und presste sie auf sein Herz. Seine Miene war ernst, die Augen glänzten feucht.
»Bei Gott, Christopher. Sei vorsichtig … bitte.«
»Wenn ich erst die Palastmauern hinter mir gelassen habe, werde ich rennen wie ein Hase. Die werden mich niemals kriegen.«
Ganz plötzlich schlang Razi die Arme um Christopher und drückte ihn heftig an sich, und Christopher erwiderte die Umarmung ohne jedes Zögern. So standen sie eine lange Zeit, Razis Wange auf Christophers Scheitel, Christophers Gesicht an Razis Schulter vergraben.
Dann lösten sie sich voneinander.
»Versuch, morgen zu kommen«, bat Christopher unerwartet mit zittriger Stimme.
Razi nickte ohne große Hoffnung. Dann ging er rückwärts zur Geheimtür. Wynter winkte ihm, als er im Halbschatten noch einmal verharrte, seine Augen leuchteten in der Dunkelheit. Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln, dann schloss er die Tür. Christopher lehnte sich mit umwölktem Blick an die Wand.
»Wir sollten zu Bett gehen, Christopher.«
»Ja.« Er sah sie an. »Wirst du morgen mit mir aufstehen?«
Sie nickte heftig.
»Danke«, flüsterte er und legte sich auf die Kissen, den Rücken zum Feuer, die Augen auf Lorcan ruhend.
Nachdem Wynter ihr Nachthemd angezogen hatte, stand sie lange Zeit vor ihrem Bett, das kalt und ordentlich im blauen Licht des Mondes lag. Kurz entschlossen zog sie die Decke herunter und ging damit in Lorcans Kammer.
Christopher blickte erschrocken auf, als sie wieder hereinkam. Sein Gesicht glänzte vor Tränen, verlegen wischte er sie weg. Doch Wynter beachtete es gar nicht, sondern tapste zu den Polstern, die in Christophers Rücken vor dem Kamin lagen.
»Danke«, flüsterte er, als sie die Decke über ihn ausbreitete. Dann legte sie sich hinter ihn und schlüpfte ebenfalls unter die Decke.
So blieben sie eine Zeit lang liegen, Christopher mit dem Rücken zu ihr, sie auf der Seite, das Gesicht ihm zugewandt, die Wange in der Hand ruhend. Beide beobachteten den schlafenden Lorcan.
Nach einer Weile rückte Wynter näher heran und schlang ihren Arm um Christophers Taille. Sie kuschelte die Wange an seinen Rücken und schloss die Augen. Ihr Arm hing leicht
über seinem Bauch, und sie dämmerte schon in den Schlaf hinüber, als er ihre Hand nahm, sie hoch an seine Brust zog und fest auf sein Herz presste. So schlief sie ein, gewärmt von seinem schlanken Körper, der eigenartige Druck seiner Hand mit dem fehlenden Finger ein sanfter Trost.
Erster Abschied
D er Mond war untergegangen, doch die Sonne stand noch nicht am Himmel, als Wynter erwachte. Eingekuschelt in die Kissen, war ihr warm und behaglich zumute, und es dauerte einen Moment, bis sie sich entsann, wo sie war. Dann erinnerte sie sich: Lorcans Kammer, Lachen, gutes Essen und Freundschaft. Sie hatte die ganze Nacht an Christophers Seite geschlafen.
Er war schon auf den Beinen. Irgendwann während der Nacht musste sich Wynter im Schlaf zum Feuer umgedreht haben, und so lag sie nun ganz still und beobachtete seine schmale, dunkle Gestalt, die sich vor die Flammen kauerte. Er war angezogen und bereit für die Abreise.
Oh, Christopher. Jetzt schon?
Ganz vertieft goss er Wasser aus dem Kessel in Razis silbernen Teekessel und klappte den Deckel leise zu, bemerkte nicht, dass sie ihn beobachtete. Behutsam tat er Honig und
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