Moorehawke 01 - Schattenpfade
Zitronenscheiben in die bereitstehenden Teegläser, und Wynters Herz zog sich zusammen, als sie feststellte, dass vier Gefäße warteten: Es schien, als wollte Christopher die Hoffnung noch nicht aufgeben, dass Razi zum Abschied kommen würde.
Er trug Reisekleidung – eine dunkle, langärmelige Robe, die seine Hände bis zu den Knöcheln bedeckte, eine dunkle
Reithose und kniehohe Reitstiefel mit fester Sohle. Um die Hüften hatte er einen Gürtel geschlungen, an dem ein Beutel, Munition und Pulvertasche hingen, sowie ein Schild und ein eigenartiges Messer, wie Wynter es noch nie zuvor gesehen hatte. Aus dem rechten Stiefel ragte der Griff seines schwarzen Dolches.
Nun stellte er vorsichtig einen Löffel in jedes Glas, um den Tee einzugießen; seine Bewegungen waren bedächtig. Wynter runzelte die Stirn.
Irgendetwas an ihm war merkwürdig. Aber was?
Christophers langes Haar war streng zurückgezogen und wurde am Hinterkopf durch einen zarten schwarzen Schal zusammengehalten. Sein schmales Gesicht erschien älter. Der gelassene, lächelnde Mund und die glänzenden Augen wirkten bedrohlich und angespannt. Es war ein erschreckender Unterschied zu der trägen Freundlichkeit, die sie von ihm kannte. Wenn Wynter diesem Mann auf der Straße begegnen würde oder ihn in einer Schenke entdeckte, würde sie nach ihrem Geldbeutel tasten und zusehen, dass sie ihm nicht den Rücken zuwandte.
Er rührte im Tee und drehte dabei sein hartes, ausdrucksloses Gesicht ins helle Licht – und die Antwort auf ihre stumme Frage traf sie unvorbereitet, mit einer Mischung aus Stolz und Traurigkeit: Das, so erkannte sie, war Christophers Maske.
Dort kniete er am Feuer und bereitete den Tee zu, der sein Abschiedsfrühstück werden sollte, doch im Geiste war Christopher bereits unterwegs und wappnete sich dafür, allein und ohne Schutz die gefährlichen Straßen gen Süden zu bereisen. Er war in eine Rolle geschlüpft, angesichts derer ein Fremder es sich zweimal überlegen würde, ob er es mit ihm aufnehmen wollte. Ein Blick in dieses Gesicht, und man konnte leicht
übersehen, dass er lediglich ein schmaler, blasser Mann war, dessen Hände gefährlich verstümmelt und dessen Freunde weit entfernt waren.
Wynter presste die Wange in die Kissen und biss sich auf die Lippe, um die jäh aufflammende Angst um ihn zurückzudrängen.
Immer noch ohne ihre Blicke zu bemerken, holte Christopher einen der Kuchen vom vergangenen Abend aus der Tasche, den er in eine Serviette eingeschlagen hatte. Reglos kniete er einen Moment lang vor dem Kamin, der Schein des Feuers umspielte seine sich lautlos bewegenden Lippen. Dann erst brach er das Gebäck in vier Stücke und aß einen Teil, warf einen ins Feuer, steckte einen in die Tasche und stand mit dem letzten in der Hand auf und trat an das Bett, in dem Lorcan weiterhin tief und fest schlief.
Hexenwerk , dachte Wynter ängstlich und schalt sich im selben Augenblick. Du warst viel zu lange im Norden, Wynter Moorehawke. Die Unduldsamkeit dort oben hat dich vergiftet.
Das letzte Stück Kuchen küsste Christopher, berührte damit so vorsichtig Lorcans Lippen, dass der nicht einmal zuckte, und legte es dann unter sein Kissen. Er richtete sich wieder auf und blickte auf den großen Mann im Bett herab.
Dieser Anblick war so bewegend, dass sich Wynter demonstrativ unter ihrer Decke regte, um Christopher wissen zu lassen, dass sie wach war. Er wandte ihr den Kopf zu, und unverzüglich verwandelte sich sein Gesicht: Da war sein keckes Lächeln wieder, da waren die schelmischen Grübchen. Seine Augen erwachten zum Leben.
»Wie geht es dir?«, flüsterte er. »Habe ich dich geweckt?«
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Hast du gebetet, Christopher?«
Einen Moment lang wirkte er erschrocken, doch dann fing er sich wieder und betrachtete Lorcan mit trauriger Zuneigung. »Ja, das habe ich wohl …« Er lachte kurz auf. »Es ist lange her, seit ich den Ritus zuletzt vollzog … doch ich hatte das Gefühl, es tun zu müssen …«
»Christopher ist ein seltsamer Name für einen Heiden«, stellte Wynter sanft fest.
Bei dem Wort verdüsterte sich seine Miene kurz, verzog sich aber beinahe unmittelbar wieder zu einem Grinsen. »Meine Mutter hat mir den Namen gegeben. Ich bezweifle, dass er für sie mehr war als ein Klang.« Wieder sah er Lorcan an und murmelte nachdenklich: »Obwohl sie natürlich Christin gewesen sein könnte, wer weiß das schon?«
Er strich Lorcan eine Strähne aus dem Gesicht und drehte sich
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