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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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nicht übertünchen.
    Ich lege mich nur eine Minute hin, dachte sie, als sie unter das Insektennetz kroch und sich auf das kühle, nach Lavendel duftende Laken sinken ließ. Ich schlafe erst, wenn Vater sicher
hier angekommen ist … Doch sie war schon eingeschlummert, bevor der Gedanke überhaupt richtig in ihrem Bewusstsein ankam.
     
     
     
    Sie stand auf einem weiten Feld, das sich bis zum leuchtend blauen Horizont erstreckte. Es war voller roter Mohnblumen, und als sie hindurchlief, färbten sich ihre Füße und der Saum ihres Hemdes rot. Da hörte sie einen klagenden Schrei, als wäre ein Seevogel in einem Netz gefangen. Sie blickte sich um, wollte sehen, woher das Geräusch kam, denn es tat ihr weh. Die Farbe der Mohnblumen begann, auf ihren Füßen zu brennen, und als sie den Blick senkte, entdeckte sie, dass die Blumen gar nicht rot waren, sondern weiß – weiße Mohnblumen, mit Blut befleckt.
    Das Klagen war nun ganz nah; sie rannte auf eine niedrige Anhöhe und sah in ein kleines Tal hinab. Wölfe hatten sich um ein totes Tier versammelt, sie kauten und knurrten und rissen an dem Kadaver. Da waren so viele Wölfe, dass sie die Beute nicht erkennen konnte, doch allmählich begriff sie, woher das hohe Jammern kam – das arme Geschöpf lebte noch.
    Sie hob einen Bogen auf, der zu ihren Füßen lag, und zielte, in der Hoffnung, das Tier aus seinem Elend zu erlösen. Niemals kann ich diesen Bogen spannen. Er ist zu groß für mich . Und doch spannte sie ihn, zog die Sehne geschmeidig zurück, bis sie ihre Wange streifte.
    Geduldig wartete sie darauf, einen Blick auf die gepeinigte Kreatur zu erhaschen, die immer noch dieses grausige, hohe Heulen ausstieß, während das Blut hochspritzte und alle Mohnblumen rot färbte. Als sich die Wölfe um ein kleines Fetzchen Fleisch zankten, lichtete sich das Knäuel für einen
kurzen Augenblick. Sie sah ein himmelblaues Gewand aufblitzen und einen Arm nach oben schnellen – ob in einem Fluchtversuch oder als Abwehr gegen das Wüten der Wölfe, konnte sie nicht erkennen.
    Sieh mal an, dachte sie eigenartig unberührt, es ist Razi .
    Sie straffte die Bogensehne noch fester, atmete aus und schoss den Pfeil mit einem hohen Summton ab. Er hatte einen weiten Weg, dieser Pfeil, und sie konnte jeden Zoll seiner Flugbahn verfolgen. Sie bewunderte, wie er sich auf seiner Reise durch die Luft drehte und sanft von einer Seite zur anderen pendelte.
    Als er endlich sein Ziel erreichte, waren alle Wölfe fort, und da war nur noch Razi, allein und blutverschmiert, er lag zwischen den triefenden Mohnblumen. Mit einem lauten Knall schlug der Pfeil ein, als wäre Razis Herz aus Holz, und sein Körper krümmte sich unter der Wucht.
    Das Geräusch hallte durch das kleine Tal, klang in rascher, pochender Folge nach. Razi schlug die Augen auf, und sie waren grau und schräg gestellt, und es war gar nicht Razi, sondern Christopher Garron. Er hob den Kopf – das Haar ganz blutig – und sah sie voll Schmerz und Verwirrung an.
    »Wynter«, sagte er, und immer noch setzte sich das Echo des Aufpralls im Tal fort.
    Entsetzt ließ sie den Bogen fallen, als sie seinen blutigen Mund, die anklagenden Augen erblickte.
    »Wynter«, sagte er erneut. Seine Stimme verblasste, entfernte sich immer weiter, während sich sein Blut über die Blumen ergoss.
    »Wynter.«

    »Wynter!«
    Mit einem Keuchen schreckte sie auf.
    Die Schatten waren länger geworden, doch es war immer noch hell draußen. Sie konnte nicht länger als zwei Stunden geschlafen haben. Christopher rief ihren Namen und klopfte leise, aber nachdrücklich an die Schlafkammertür. »Wynter, Razi und dein Vater kommen. Ich glaube, deinem Vater geht es nicht gut.«

Ein müdes Herz
    H astig wühlte sich Wynter aus dem Insektennetz und beeilte sich, die Tür zu entriegeln. Sie schob Christopher einfach beiseite und lief nach nebenan.
    »Wo sind sie?«, herrschte sie ihn an und sah sich aufgeregt um. »Was ist mit Vater?«
    Christopher legte den Finger auf die Lippen und deutete in den Empfangsraum. Ohne nachzudenken, folgte sie ihm durch das Zimmer, bis sie entdeckte, dass die Eingangstür offen stand und ihre Gemächer neugierigen Blicken frei zugänglich waren. Jäh wurde ihr bewusst, dass sie nur ein dünnes Hemd und die Nachthaube trug, also verharrte sie im Zimmer, während Christopher in den Flur hinaustrat. Er bemerkte gar nicht, dass sie zurückblieb, baute sich vor der Tür auf und starrte mit ernster Miene unverhohlen den Gang

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