Moorehawke 01 - Schattenpfade
machte, etwas zu sagen, hob er den Arm, um sie am Sprechen zu hindern. Er sah sie nicht an, streichelte ihr aber unmittelbar darauf die Wange. Dann legte er die Hand auf Lorcans Bauch und drückte fest zu. Lorcan stöhnte und wollte sich entziehen.
»Schon gut, alter Freund. Schon gut«, besänftigte Razi ihn leise, das Ohr immer noch auf den Brustkorb gelegt. Wieder drückte er, diesmal an einer anderen Stelle, mit demselben Ergebnis. »Es ist schon gut. Alles in Ordnung.« Damit richtete er sich langsam wieder auf und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Einen Augenblick lang betrachtete er seinen Patienten über die Fingerspitzen hinweg. Seine braunen Augen waren kühl und überlegt. Wynter sah ihm an, dass er nachdachte.
Da kehrte Christopher zurück und verschloss eilig die Tür hinter sich. Er stellte Razis Tasche neben dem Stuhl ab. »Ich habe nach Wasser geschickt.«
Razi beugte sich über Lorcan und raunte ihm etwas ins Ohr. Vor Schreck verdrehte der die Augen, doch Razi sah ihn durchdringend an, woraufhin Lorcan unschlüssig nickte.
Dann tätschelte er ihm die Schulter und steckte zu Wynters Entsetzen eine Hand vorn in die Hose ihres Vaters, presste die Finger tief in seine Leistengegend. Lorcan kniff die Augen zusammen und drehte den Kopf weg – ob vor Schmerz oder Beschämung, war für Wynter nicht zu erkennen. Mit brennenden Wangen wandte sie sich ab.
Als sie wieder hinzusehen wagte, tastete Razi gerade beide Kiefer ihres Vaters ab. Lorcan kam endlich wieder zu Atem und versuchte, Kopf und Schultern zu heben. Erfüllt von kraftloser Feindseligkeit gegenüber Christopher, wollte er das Hemd vor der Brust zusammenziehen, doch Razi hielt ihn am Handgelenk fest. »Nur einen Moment noch, Lorcan. Es ist gleich vorbei.« Er wühlte in seiner Tasche und förderte einen kurzen, polierten Holztrichter zutage, dessen Öffnung er an seinem eigenen Bauch anwärmte, bevor er ihn auf Lorcans Brust setzte. Er hielt das Ohr ans andere Ende und lauschte angespannt. »Atmet so tief ein, wie Ihr könnt. Und haltet die Luft an.« Lorcan bemühte sich, der Anweisung Folge zu leisten, doch er schien nicht imstande, den Atem anzuhalten, und geriet ins Keuchen. Sein Kopf fiel in den Nacken, der Schweiß brach ihm wieder aus.
Endlich hockte sich Razi auf die Fersen, wischte die Hände an einem nach Zitronen duftenden Tuch ab, das Christopher ihm gereicht hatte, und betrachtete den großen Mann vor sich mit ernster Miene. »Lorcan«, begann er. »Ich möchte mich jetzt gern mit Euch beraten, wenn Ihr bereit seid, ehrlich zu mir zu sein.«
Lorcans Blick wanderte zwischen Wynter und Christopher hin und her, einen gehetzten Ausdruck auf dem Gesicht. Razi nickte. »Eure Tochter und Christopher Garron können draußen warten, wenn Ihr das wünscht. Das hier betrifft nur Euch.«
Es war Lorcan deutlich anzusehen, dass er gründlich darüber nachdachte. Dann lehnte er mit einem stummen Kopfschütteln ab. Schwer atmend, die Zähne gefletscht, setzte er die Füße auf den Boden und rutschte mühsam auf dem Sessel herum. Razi beeilte sich, ihm zu helfen, machte sich an den Kissen zu schaffen, bis Lorcan seine Hände wegschob und sich aus eigener Kraft in eine einigermaßen aufrechte Haltung brachte. Er klammerte sich fest an die Armlehnen – ein Trick, den er sich angewöhnt hatte, um das Zittern seiner Hände zu unterbinden – und musterte Razi unter zusammengezogenen Augenbrauen.
»Sprecht.«
Razi blieb auf den Fersen sitzen und forderte Wynter und Christopher mit einem Kopfnicken auf, sich etwas zu entfernen. Also setzten sie sich zu beiden Seiten des Kamins und taten ihr Bestes, mit den Wandteppichen zu verschmelzen.
»Während Eurer Jahre im Ausland, Lorcan, littet Ihr da einmal unter einem Fieber oder einer langwierigen Krankheit?« Razis Stimme war sanft, doch gleichzeitig lag Bestimmtheit in ihr und auch aufrichtiges Vertrauen, das Lorcan zu beruhigen schien.
Er nickte. »Vor mehr als zwei Jahren. Ein Fieber hat mich aufs Lager geworfen.«
Lächelnd hob Razi eine Augenbraue. »Habt Ihr lange gebraucht, um Euch zu erholen?«
Wieder nickte Lorcan. Dann hob er den Kopf, die Miene besorgt. »Aber, mein Fürst, es gibt weit Wichtigeres, was wir besprechen sollten.«
Doch Razi machte eine abwehrende Handbewegung. »O nein, alter Freund. Nein. Wir werden über nichts anderes als Eure Gesundheit reden. Das ist mein Wunsch.«
Lorcan biss die Zähne zusammen und blickte zur Seite. Um seine Aufmerksamkeit wieder auf
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